Banned Books Week: Wer hat Angst vor gefährlichen Büchern?

Das Zensieren von Büchern ist kein Relikt der Vergangenheit. Jährlich werden Bücher aus Bibliotheken in den USA entfernt – Banned Books Week ist die Antwort darauf.

Gesellschaft / Kultur

von Yasmin O am 9. Mai 2022

Fotografie von Yasmin O

Das Zensieren von Büchern ist kein Relikt der Vergangenheit. Jährlich werden Bücher aus Bibliotheken in den USA entfernt – Banned Books Week ist die Antwort darauf.

Die BookExpo American Trade Show in Kalifornien zeigt jährlich eine Ausstellung von Büchern. Jedes Jahr besuchen hunderte Zuschauer*innen die Veranstaltung. 1982 schockierte BookExpo jedoch die Besucher*innen. Wenn man in die Eingangshalle ging, waren die Bücher in Käfigen ausgestellt. Bücher wie Tony Morrisons The Bluest Eye war hinter Gitterstäben verschlossen. Der Grund? Die ausgestellten Bücher waren wortwörtlich in Käfigen. Dabei waren es nur harmlose Bücher, die hinter Gittern eingesperrt waren. Wen würden diese Bücher angreifen wollen? Wen sollen diese Käfige beschützen?

Ver­bo­te­ne Bü­cher in Schu­len

Der Grund: diese Bücher wurden in Schulen und in Büchereien verboten. Seit der Ausstellung in den 80ern hat sich nicht viel verändert. Ein College in South Carolina hat 1987 The Great Gatsby aus dem Curriculum[1] genommen, weil es sexuelle Referenzen enthielt. In 2020 hat das Matanuska-Susitna Borough Schuldistrikt in Alaska das Buch ebenfalls aus dem Curriculum entfernt. Während der Banned Books Week soll sich das ändern. Man liest in dieser Woche nur Bücher, die zensiert wurden. Jeder soll die Freiheit haben, das zu lesen, was er will. Die Organisation verlangt, dass alle Leser*innen freien Zugang zu Informationen haben dürfen. Wie erfolgreich ist Banned Books Week, um die Zensur zu bekämpfen? 

Banned Books Week ist eine Kampagne der American Library Association. Jedes Jahr findet Ende September diese Woche statt, die zensierten Büchern gewidmet ist. Mitmachen ist ganz einfach: in dieser Woche liest man ein Buch, das verboten wurde und postet es auch auf Social Media. Das Ziel der Banned Books Week ist es, über Zensur in der Literatur aufzuklären. Es werden Bücher gelesen, die in Vergangenheit und heutzutage zensiert werden. Jedes Jahr veröffentlicht die American Library Association eine Liste von Büchern, die am häufigsten zensiert wurden. An dieser Liste kann man sich orientieren, welche Bücher am häufigsten in der Vergangenheit und heute verboten wurden.

Po­li­tisch an­ge­spann­te Zei­ten

Als die Banned Books Week in den frühen 1980er Jahren startete, waren es politisch angespannte Zeiten, denn es lauerte immer wieder die Gefahr eines verheerenden Atomkrieges zwischen den Supermächten.  In den 1980ern herrschte die Angst vor kommunistischen Spionen in den USA, die die sowjetische Ideologie Land verbreiten würden. Eltern versuchten das Werk 1984 von George Orwell 1981 im Jackson County, Florida aus den Schulbüchereien zu entfernen. 1984 würde laut ihnen pro-kommunistische Ansichten vertreten. Die Versuche, Romane für Schüler*innen nicht zugänglich zu machen, hatte einen Einfluss auf die Entstehung von Banned Books Week.

1973 hat ein Schuldirektor in North Dakota angefordert, Slaughterhouse-5 von Kurt Vonnegut vor der Schule zu verbrennen. Tony Morrisons Buch Beloved, das das Schicksal einer geflohenen Sklavin erzählt, wurde verboten. Dagegen will Banned Books Week ankämpfen. Das Kurt Vonnegut Museum and Library beteiligt sich seit 2011, nachdem Vonneguts Klassiker Slaughterhouse-5 in einer Schule Missouri verboten wurde. Das Museum schickte 75 Bücher an diese Schule, damit Schüler*innen das Werk dennoch lesen konnten. Jährlich zieht die Kampagne Millionen Leser*innen an. 

Doch was für Bücher werden verboten? Es sind nicht immer nur Klassiker, sondern auch aktuelle Werke. Angie Thomas’ The Hate U Give, veröffentlicht in 2017, handelt von der 16-jährigen Schülerin Starr, deren Freund Khalil von der Polizei erschossen wird. Starr protestiert dagegen und macht auf Polizeigewalt aufmerksam, der sie als Afro-Amerikanerin tagtäglich ausgesetzt ist. Das, was Starr in dem Buch widerfährt, ist keine Neuigkeit. Zwar ist ihr getöteter Freund Khalil fiktiv, aber sein Schicksal spiegelt das vieler junger Afro-Amerikaner wieder. 2014 wurde Eric Garner von der New Yorker Polizei getötet. Garner hat der Polizei wiederholt gesagt, dass er nicht atmen könne. Die Polizei glaubte, dass Garner illegal Zigaretten verkauft hat. Das Buch reflektiert die Bemühungen, Gehör zu finden – wann gibt es Gerechtigkeit für Opfer von Polizeigewalt? Der Beamte, der Eric Garner tötete, wurde nur entlassen. Es kam nie zu einer Gerichtsverhandlung. 2018 wurde das Buch schließlich in Schulbüchereien im Katy Independent School District in Texas entfernt. Als Grund wurde angegeben, dass das Buch zu vulgär sei. Auch wenn The Hate U Give verboten wird, bleibt Polizeigewalt immer noch eine Realität für Afro-Amerikaner*innen. 

Der Gedichtband Howl and Other Poems von Allan Ginsburg wurde in den 1950ern ebenfalls verboten, da die vulgäre Ausdrucksweise kontrovers aufgenommen wurde. Aber dieses Werk wurde in den letzten Jahrzehnten nicht aus Schulbüchereien entfernt.

Es gibt nicht ge­nug Bü­cher wie die­se…

Auch das Scappose School Board in Oregon entschied sich, George von Alex Gino aus der Leseliste für Grundschüler*innen zu entfernen. Die Protagonistin Melissa ist transgender, wurde jedoch mit biologisch-männlichem Geschlecht geboren, weshalb ihre Eltern sie George nannten. In dem Buch verfolgt man Melissas Alltag und wie sie mit ihrer Identität klarkommt. Es gibt nicht genug Bücher, die eine Protagonistin wie Melissa haben. Durch das Buch kann man ihre Perspektive und Erfahrung besser verstehen. Aber das Buch sollte nicht von Kindern gelesen werden. Es sei zu explizit und die Kinder würden es nicht verstehen. Eltern wehrten sich gegen das Buch, weil das Thema für junge Kinder nicht angemessen sei.  Laut der Banned Books Week Organization sind Bücher dann zensiert, wenn sie aus Büchereien und Buchläden entfernt werden, weil sie vorher angefochten wurden. Das Werk George aus Leselisten zu streichen ist bereits eine Zensur.

Doch es sind gerade solche Bücher, die Schüler*innen brauchen. Sie können sich so selber in Büchern sehen, wo Protagonist*innen Opfer von Rassismus oder Ausgrenzung sind. Einer dieser Schüler ist Jack Petocz aus Florida. Jack organisierte 2018 einen Protest an der Flagler Palm Coast High School. Seine Schule wollte All Boys Aren’t Blue von Jason Reynolds in ihrer Schulbücherei verbieten. In dem Roman geht es um einen schwarzen Jugendlichen, der seine Homosexualität entdeckt und versucht, mit den Schwierigkeiten zurechtzukommen. Jack ist selber schwul und teilt Gemeinsamkeiten mit dem Protagonisten. Er meint, dass solche Bücher wichtig für die Jugend seien. Durch diese Repräsentation fühlen sie sich gehört. Laut Jack gäbe es nicht viele Bücher für junge Schüler*innen, die sich mit solchen Themen auseinandersetzen. In Oklahoma zum Beispiel gibt es ein Gesetz, das Bücher über sexuelle Identität in Schulbüchereien verbietet.

Gute Auf­la­gen trotz Zen­sur

Dass Banned Books Week gegen diese Zensur hilft, bezweifelt der Buchkritiker Ron Charles in seinem Artikel Do we really still need Banned Books Week? von der Washington Post. Laut ihm sei die Kampagne nicht hilfreich, da diese verbotenen Bücher sich sowieso gut verkaufen würden, trotz der Zensur. Und das stimmt auch: obwohl The Hate U Give in dem Schuldistrikt in Texas verboten wurde, waren die Verkaufszahlen in dem Distrikt dennoch hoch.  Die Schriftstellerin Angie Thomas schrieb selbst in einem Tweet, dass ihr Buch in dem Katy Independent School District tausende Ausgaben in derselben Woche verkauft hat. Jason Reynolds – Autor von All Boys Aren’t Blue – wurde in einem Interview gefragt, wovor sich Leute fürchten, wenn sie ein Buch verbieten. Reynolds entgegnete, dass sie Angst haben würden, herausgefordert zu werden. Diese Bücher, die sie verbieten wollen, zeigen ihnen ihre eigene Ignoranz. The Hate U Give vermittelt eine reale Situation von Afro-Amerikaner*innen, die immer noch unter Polizeibrutalität leiden. Das Buch zu verbieten entzieht Leser*innen die Möglichkeit, sich mit ihrer eigenen Nationalität oder ihren Privilegien auseinanderzusetzen. Durch diese Kampagne werden Bücher in den Vordergrund gestellt, die für eine tolerante Gesellschaft unentbehrlich sind. Bücher hinter Gitterstäben zu sperren wird sie nicht weniger wertvoll machen.

Auch nach der BookExpo 1982 befinden sich Bücher immer noch sprichwörtlich hinter Gitterstäben. Manche Schuldistrikte verbieten bestimmte Bücher in den Bibliotheken, weil sie unangenehme Themen ansprechen. Doch diese Bücher drücken das aus, was sich nur wenige trauen. The Hate U Give oder All Boys Aren’t Blue sollen nicht weiterhin in Käfige gesteckt werden. Sie sind dafür da, um in den Händen von Leser*innen gehalten zu werden und ihr Denken anzustoßen.


[1] Als Curriculum bezeichnet man einen Lehrplan, der zum Beispiel vorgibt, welche Bücher in einem Schuljahr gelesen werden müssen

Ein Projekt des Jugendpresse Deutschland e.V.

Mauerstr. 83-84, 10117 Berlin

kontakt@politikjam.de

+49 30 3940 525 00