Das Wahlalter schließt die Jugend aus – immer noch.

Die Beteiligung an den U18-Wahlen zeigt, die Jugend ist bereit zum Wählen – doch ist die Politik bereit für die Jugend? Was die Dauerdebatte zur Senkung des Wahlalters bis jetzt gebracht hat. Ein Kommentar

Gesellschaft / Probleme & Lösungen

von Johanna R am 27. Juni 2022

Warten auf die Volljährigkeit. Wann wird die Politik die Jugend endlich abholen können? Bildquelle: Denys Argyriou (unsplash)

Ich stehe auf der Bühne und klammere mich an das Mikrofon, um das Zittern meiner Hände zu kaschieren. Vor mir türmt sich ein Publikum von Jugendlichen auf, hinter mir erstreckt sich eine Sitzreihe an vornehmen Sesseln, geschmückt mit Politiker*innen. Sie lehnen sich in ihre gepolsterten Sitzgarnituren zurück und lassen ihre Blicke über die jungen Gesichter schweifen, während ich ihnen Fragen stelle. In solchen Momenten fühle ich mich klein. Die Landtagswahlen stehen an und wie jedes Jahr hat unsere Stadt eine Podiumsdiskussion für Jugendliche organisiert, die ich mit zwei anderen moderieren soll.

Unterschiedlich gehaltvoll antworten die Redner*innen auf unsere Fragen. Mit einer gekonnten Akrobatik hangeln sie sich an einzelnen Schlagworten von Frage zu Frage und umgehen mehrere von ihnen. Ich staune ein wenig. Dann fällt mir ein, dass das Reden der Beruf eines Politikers ist und ein*e Politiker*in ohne Redegewandtheit wäre, wie ein*e Friseur*in ohne Schere. Das ist das Handwerkszeug der Politiker*innen. Das Einmaleins der Redner*innen.

Mein Blick wandert in das Publikum. Ich finde mich selbst in den Gesichtern der Schüler*innen wieder, allerdings nicht, weil auch ich noch Schülerin bin oder ich einige von ihnen sogar kenne, sondern, weil ich ganz genau weiß, wie sie sich fühlen. Ich fühle es ja in diesem Moment auch.

Wenn die Machtlosigkeit ein Schleier wäre, dann läge er über dem gesamten Publikum. Klar, denn wir sind schließlich alle minderjährig und somit noch immer ausgeschlossen von den wichtigsten Wahlen des Landes. Für uns ist Politik etwas Entferntes. Etwas, dass sich auf Bühnen abspielt und nicht dahinter. Doch ich wundere mich, warum auch ich mich so machtlos fühle, in einem Moment der totalen Ausschöpfung meiner Macht. Ich stelle die Fragen, ich habe das Mikrofon, ja ich habe sogar mitbestimmt, wer hier heute bei der Podiumsdiskussion mit dabei ist. Ist mir all das nicht genug?

Dann kommt die Frage, auf die das Publikum insgeheim gewartet hat. Die Frage nach der Senkung des Wahlalters. Ich bin froh, diese Frage nicht artikulieren zu müssen und schaue meiner Mitmoderatorin dabei zu, wie auch ihr es schwerfällt den Ton zu vertuschen, der ihre Müdigkeit verrät. „Die Debatte muss mindestens so alt sein, wie ich selbst“ , denke ich, als die Redner*innen ihre Arme heben und mit den gefärbten Farbkarten ihre Position zur Frage: „Sollte das Wahlalter auf 16 gesenkt werden?“, ganz ohne Worte darstellen (eine kluge Methode, die die Politiker*innen zwingt ihre Position auf den Punkt zu bringen). Es gibt Grün, für „stimme zu“, Gelb für „bin mir unsicher“ und Rot für „stimme nicht zu“.

In der Luft schwingen jetzt überwiegend grüne Papiere und lange Arme von Menschen, die versuchen sich daran zu erinnern, wie es ist 16 und machtlos zu sein.

Aber was sie nicht wissen ist, dass genau diese Frage und genau diese Reaktion das Frustrierende an sowohl der ganzen Debatte, als auch der ganzen Politik ist. Es ist immer so, dass die Mehrheit für eine Jugendbeteiligung an Wahlen ist. Aber warum gibt es keine?

Ich schaue in leere Gesichter, vielleicht in mein eigenes, das überall im Publikum sitzt. Die Jugendlichen schauen erwartungsvoll nach vorne. „Es ist toll, wenn sich die Jugend engagiert“, schmeicheln sich die Sesselsitzer*innen bei ihnen ein.

Ja, es ist toll, wenn sich die Jugend engagiert. Aber wie noch viel „toller“ wäre es, wenn unsere Stimme tatsächlich einmal zählen würde?

Der Fakt, dass seit den letzten fünf Podiumsdiskussionen alle wechselnde Sesselsitzer*innen mit „ich stimme zu“ auf die Frage nach der Senkung des Wahlalters geantwortet haben, sich aber noch immer nichts geändert hat, ist ein Exempel für die Verworrenheit der Politik, die die Jugend abschreckt. Ein solches Vorgehen fördert den Glauben, Politik sei zu schwerfällig und zu kompliziert.

Vor zwanzig Jahren hätten junge Menschen sich ihrem Schicksal vielleicht hingegeben, wären zur Schule gegangen und hätten sich irgendwann dann politisiert, wenn der erste Wahlschein in ihren Briefkästen eingetrudelt wäre. Aber angesichts des Glatteises, auf dem wir stehen und dass sich frei von Schnee geschaufelt als Fundament unserer Gesellschaft entpuppt, musste jeder von uns erfahren, dass wir, wenn es so weiter geht, auf fragilem Grund bauen. Und Niemand will seine Zukunft auf Eis bauen. Gerade in diesen Zeiten beeinflussen die Entscheidungen von heute unsere Zukunft von morgen so enorm, wie noch nie. Deswegen gingen, gehen und werden wir demonstrieren gehen.

Doch, auch wenn Demonstrationen auf die Politik einwirken und zeigen, dass die Jugend da ist und ihre Meinung vertritt: in den VIP Club der Privilegierten, die Entscheidungen treffen dürfen, kommt man erst rein, wenn man wählen darf – sprich volljährig ist.

Das ist nicht richtig.

Wir sind da und mündig und bereit die Welt im Sturm zu erobern. Die Landtagswahlen beweisen es: In NRW beteiligten sich fast 45.000 junge Wähler*innen an der U18-Landtagswahl 2022. 2017 waren es noch 35.000 Kinder und Jugendliche in NRW.

Wenn die Generation Greta bereits 2022 hätte wählen dürfen, dann sähen die Wahlergebnisse der Landtagswahlen anders aus. Die stärkste Kraft bei den jungen Menschen war mit Abstand die SPD mit 25 %, gefolgt von den Grünen. Erst nach den Grünen folgt die CDU mit 18% (Zahlen gerundet).

Seit Jahren schafft es die Politik die Jugend von Parteien und dem Wahlprozess abzuschrecken.

Diese schießen sich damit jedoch selbst ein Eigentor, zumindest die meisten von ihnen. SPD, Grüne und vor allem FDP, die bei den Landtagswahlen in NRW ein historisch schlechtes Ergebnis mit nur 5,6 % erzielte, würden profitieren von der jungen Wählerschaft. Gerundet 12% der Jugendlichen gaben der FDP ihre Zweitstimme.

Einzig die CDU, die es gewohnt ist, stärkste Kraft bei Landeswahlen zu sein, überzeugt die Jugend weniger.

Es wäre für die politischen Parteien, die einen Mangel an Nachwuchs beklagen, aus mehreren Perspektiven von Vorteil, das Wahlalter jetzt und unmittelbar greifend auf 16 zu senken. Nicht nur würde dies ernsthaftes Interesse an der Jugend wiederspiegeln, sondern auch das Bild einer souveränen Politik zeichnen, die die Mehrheit entscheiden lässt und nicht zurückgehalten ist von Parteien, die aus der Angst heraus, Jugendliche könnten tatsächlich in der Politik etwas am Status-Quo ändern, die Entscheidung hinauszögern und zurückhalten.

Mit einem imaginären Augenrollen an die CDU, die mit der AfD als einzige Partei das gelbe Papier in die Luft ragt, frage ich das Publikum, wie sie zur Wahlalter Senkung stehen. Plötzlich erhebt sich der ganze Saal. Ausnahmslos.

In solchen Momenten fühle ich mich groß und verstanden und so, als könnten wir Jugendliche für einen Augenblick unseren Schleier der Machtlosigkeit ablegen, immer dann, wenn wir alle zusammen für das aufstehen, was wir für richtig halten. Ich drehe mich um und sehe wie sich auch in den Gesichtern der Sesselsitzer*innen etwas regt.

Ich wünschte, ich könnte ihnen in diesem Moment zurufen: Liebe Parteien, hört auf uns zu sagen, wir seien noch nicht bereit für politische Entscheidungsprozesse, es scheint eher als wäret ihr noch nicht bereit für uns Jugendliche.

Aber anstatt ihnen zuzurufen, schreibe ich diesen Kommentar.

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