Gib acht vor G8

Immer mehr Bundesländer, wie zuletzt auch das Saarland, wollen das G9-Modell wieder einführen – und das zurecht. Ein Kommentar über Schulstress und Leistungsdruck

Gesellschaft / Probleme & Lösungen

von Lena B am 9. Mai 2022

Bildrechte: Quelle: pexels.com / Andrea Piacquadio

Gut in der Schule sein, ein gutes Abitur schreiben, an einer guten Universität studieren, dort einen guten Abschluss machen, einen guten Job finden: So sieht es in den Wunschvorstellungen vieler Oberstufenschüler*innen aus. Doch als Gen-Z Schüler*innen “gut” in der Schule zu sein ist nicht so einfach wie man es sich als außenstehende Person vorstellt.

Studien der DAK zufolge leidet fast jedes zweite Kind an Schulstress. Doch dieses Problem, den Stress, der unter anderem von Faktoren wie dem erhöhen des Lernpensums oder dem allgemein steigenden Notendruck stammt, scheint die Politik erst langsam zu verstehen.
Da hieß es vor fünfzehn Jahren noch “G8”, da die Schule für die Kinder mit guten Noten in der fünften Klasse ja auch dauerhaft einfach bleiben würde und wir alle sofort ins “richtige Leben” springen können, nachdem wir uns acht Jahre lang verausgaben um ja nicht von der Schule zu fliegen. In Hamburg kann man dann sogar auf eine Schule gewungen werden, auf der man ein Jahr mehr zum Abitur hat, wie kann die Behörde das nur wagen?

Doch mit G8 können wir jetzt die ganz relevanten Probleme aus dem Mathebuch lösen und die Französische Revolution wie eine Gute-Nacht-Geschichte unseren kleinen Geschwistern erzählen (mit Jahreszahlen versteht sich), damit sie sich an uns ein gutes Beispiel nehmen und auch in zehn Jahren auf das Gymnasium wollen.

Häu­fi­ge Sym­pto­me von Schul­stress

Die häufigsten Symptome von Schulstress: Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Schlafstörungen, etc. klingen wie ein Dauerzustand meines Umfelds. Gibt es überhaupt Oberstufenschüler*innen ohne Kopfschmerzen, oder ist das nur ein Mythos der Schulbehörde? Was leider die Realität der Schulbehörde betrifft: Wir haben mehr Lernstoff (ist ja auch logisch, wir haben ein Jahr weniger als die G9 Schüler*innen) und die Pausen werden immer kürzer und stressiger (und unter uns, wer entspannt sich schon in der Schule mit Aufenthaltsräumen aus 1975).

Auch die Therapieplatz-Wartelisten werden immer länger, denn Stress ist nicht nur ein Gefühl, sondern führt auch oft zu psychischen Krankheiten wie Angststörungen und Depressionen die dann auch beim Psychologen behandelt werden müssen (siehe eine Studie der Universität Bielefeld, bei der es schon 2017 einen Anstieg von 8 Prozent bei Schulkindern mit Angststörung gab und das nur im Vergleich zum Vorjahr https://www.vdk.de/hamburg/pages/79100/viele_schueler_leiden_unter_angst_und_depression ). Mit diesem Realitätscheck ist es wirklich ein Wunder, dass das letztere nicht schon automatisch mit der Gymnasialempfehlung in der vierten Klasse geliefert wird, im Sinne von “Hier ist dein Platz am Gymnasium, der Therapieplatz wird aber leider erst in zwei Jahren frei, die Warteliste kannst du aber gerne schonmal in Betracht ziehen”.

Ein­füh­rung von Stadt­teil­schu­len

Doch, warum denn bloß der ganze Stress? Gibt es nicht in Hamburg die Stadtteilschulen, die sozusagen wie G9 funktionieren? Denn seit der Einführung von Stadtteilschulen in Hamburg im Sommer 2010 kann man ja auch in neun Jahren Abitur schreiben, mit weniger Stress und mehr Fokus auf anderen Optionen, wie den mittleren Schulabschluss nach der zehnten Klasse. Hierzu muss man wissen, dass es ja durchaus Kinder in der Grundschule gibt, die gerne auf ein Gymnasium wollen, da in ihrem Fall die Stadtteilschule zu einfach wäre und es dort zwar weniger Stress gäbe, jedoch auch eine totale Unterforderung.

Einfach (im Sinne von “der Unterricht fällt mir leicht”) ist nicht gleich kein Stress und schwer (“Ich komme im Unterricht nicht mit”) ist nicht gleich Stress; Stress kann auch positiv und negativ sein und über die Jahre wird vielen Jugendlichen der Stress zu negativ, wie auch der Blick in ihre Zukunft.

Schule sollte einen zum Lernen motivieren, nicht der Stress einen antreiben. Ebenso ist die Stadtteilschule eine gute Alternative für die Hamburger Schüler*innen, die gerne mehr Zeit bis zum Abitur hätten und auch mit weniger schnellem Unterricht klarkommen.

Die Politik kann viel an diesem System ändern, ich für meinen Teil würde weniger Lernstoff in Nebenfächern, Abschaffung oder eine deutliche Senkung des numerus clausus an Universitäten und das Gymnasium als einen angenehmeren Ort des Lernens, mit neuen Methoden und besserer Ausstattung als einen guten Anfang erachten.

Das ist auch längst überfällig und vor allem sollte die Politik auf uns, die Kinder und Jugendlichen dabei hören, denn wir haben am Ende des Tages die Psychotherapie nötig, die Zukunftsängste im Gedächtnis und vor allem den durchaus vermeidbaren Stress.

Begriffserklärungen:

G8 = Gymnasium in acht Jahren, bis zur zwölften Klasse.

G9 = Gymnasium in neun Jahren, bis zur dreizehnten Klasse.

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