Für wen leuchtet das Blaulicht?

Polizist und Aktivist – ein Interessenkonflikt oder doch manchmal einer Meinung?

Gesellschaft / Vielfalt

von Amelie R am 9. Mai 2022

Foto von Amelie R

Der lin­ke Kampf

Wir sitzen auf einer friedlich gelegenen Bierzeltgarnitur, im Hintergrund zwitschern Vögel. Auf meiner Bank prangt ein Schriftzug: 1312 steht da. 1312, das ist die Verkleidung von „ACAB“, das „all cops are bastards“ bedeutet, wenn man es dekodiert.

Mein Gesprächspartner – wir nennen ihn Jan, da sein richtiger Name lieber ungesagt bleiben soll– trägt ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift „solidarity“. Darunter ist ein Schiff von Sea-Watch zu sehen.

Ende 2020 reiste er mehrere Male nach Hessen in den Danni, wie der Dannenröder Forst von Klimaaktivist*innen liebevoll genannt wird. Der Wald wurde besetzt, um die Abholzung im Zuge des Ausbaus der A49 zu verhindern. Mittlerweile sind die Straßenarbeiten in vollem Gange und die Besetzer*innen vom Danni alle aus den Bäumen gezupft. Jan hat damals mit angesehen, wie die Polizei teilweise höchst gewalttätig gegen die Aktivist*innen vorging. Aufgrund dieser Erfahrung spricht er von „Unverhältnismäßigkeit“. „Es wurde auf Leute eingetreten, sie wurden irgendwo runter gerissen…“ Das widerspreche seinem Bild der Polizei, die doch eigentlich zum Schutz der Menschen da sei. Denn auch wenn die Gewaltanwendung durch das Recht gedeckt sei, müsse doch in der Praxis die Verhältnismäßigkeit hinterfragt werden.

Kritisch blickt er aber nicht erst seit dem Danni auf die Polizei. Als kleines Kind vertrat Jan die Einstellung: „Die haben coole Autos. Die helfen, die sind cool.“

Aber seit er politisch aktiv ist, hat sich diese Einstellung geändert. Er wurde sich bewusst: „Okay, vielleicht ist die Polizei doch nicht so cool, wie ich damals dachte.“

Mit dem „linken Kampf“ ging es für Jan vermehrt in die Konfrontation mit der Polizei, weil sich dieser Kampf schließlich gegen bestimmte Strukturen des Staates richte. „Die Polizei ist ja dafür da, das, was der Staat möchte, durchzusetzen.“ Da sind Meinungsverschiedenheiten wohl vorprogrammiert.

Auch die Polizeiliche Kriminalprävention für Bund und Länder thematisiert Linksextremismus auf ihrer Website, wo sie unter dem Motto „Wir wollen, dass Sie sicher leben“ Aufklärungsarbeit leistet. Das Konzept des Linksextremismus’ ordnet sie als kritisch ein. Die ihm zu Grunde liegende „[…]Gleichheit aller Menschen […]“ sei nämlich mit Demokratie und unserer pluralistischen Gesellschaft aus ihrer Sicht nicht vereinbar. Also einer Gesellschaft, die verschiedene Standpunkte und Meinungen beinhaltet, von denen alle Gehör finden sollen. Wobei man dazu sagen muss, dass die Umsetzung des Pluralismus’ in Deutschland nicht ganz ideal ist. So würden eben doch nicht alle Standpunkte und Meinungen gleich stark berücksichtigt, so die Kritik. Und da haben wir sie, die Meinungsverschiedenheit, die zwischen „linkem Kampf“ und Polizei wohl unvermeidbar ist.

Jans Vertrauen in das Exekutivorgan ist aufgrund dieser vielen Meinungsverschiedenheiten und seiner Demoerfahrung also eher getrübt. „Wenn ich Cops auf der Straße sehe, zuckt es innerlich erstmal zusammen.“

Anderseits sieht er die Polizei auch als einen schlicht notwendigen Teil in unserem gesellschaftlichen System. „Ohne die funktioniert es nicht“, sagt er und verweist auf Bedrohungen oder Verbrechen, bei denen es wichtig sei, auf die Polizei zurückgreifen zu können. Allerdings gebe es intern eine Menge aufzuarbeiten. Zum Beispiel fehle eine unabhängige Beschwerdestelle. „Wer kontrolliert die Leute, die dich kontrollieren?“, fragt Jan und kennt die Antwort. „Es gibt Kontrollmechanismen, die aber halt auf jeden Fall nicht ausreichen.“ Täten sie das, wäre Racial Profiling wahrscheinlich auch nicht ein so riesiges Problem. So zeigte sich auch eine Expert*innengruppe der Vereinten Nationen besorgt über Racial Profiling in Deutschland, wie Amnesty International 2017 im Bericht UN-Experten kritisieren Racial Profiling anlässlich der Ergebnisse selbiger Gruppe berichtet.

„Sobald du irgendwelchen marginalisierten Gruppen angehörst, kämpft die Polizei eher gegen dich, als dass sie dein Unterstützer ist“, meint auch Jan. Menschen werden beispielsweise aufgrund ihres Aussehens vermehrt kontrolliert. Wenn sie Schwarz sind oder aufgrund ihres Namens zum Beispiel. Laut einer Studie der Ruhr Universität Bochum aus dem Jahr 2021 gerieten People Of Color insgesamt doppelt so häufig in Personenkontrollen wie ihre weißen Mitmenschen. 62% fühlten sich durch diese Personenkontrollen diskriminiert.

Die Studie beschäftigt sich mit der Perspektive von Betroffenen, zu der es „[…] bislang wenige wissenschaftliche Untersuchungen […]“ gebe, indem sie Diskriminierungserfahrungen durch die Polizei in verschiedenen Kontexten wie Hausdurchsuchungen, Kontrollen im Straßenverkehr oder eben Personenkontrollen beleuchtet und dies unter verschiedenen Gesichtspunkten wie politischer Einstellung, Hautfarbe oder Nationalität tut.

Die Studie gibt aus verschiedenen statistischen Gründen dennoch an, dass die Ergebnisse kein allumfassender Beweis für Racial Profiling seien.

Was es für einen derartigen Beweis bräuchte, wurde 2020 von Innenminister Horst Seehofer für unnötig erklärt, indem er eine Studie über Racial Profiling in der Polizei absagte.

Po­li­zei­ge­walt, Ra­ci­al Pro­filing: Sind denn jetzt wirk­lich all cops bas­tards?

All cats are beautiful? Foto von Amelie R

Als Jan das erste Mal von dem Kürzel hörte, war er noch jünger. „Uh, das ist aber ganz schön fies, oder?“, fand er damals. Heute steht er hinter der Bezeichnung. „Nicht aus dem Grund, dass alle Cops scheiße sind“, erklärt er, „sondern weil sich dieses ACAB meiner Meinung nach gegen das System Polizei stellt, dem die Polizist*innen dienen.“

Er spricht damit also nicht die Individuen an, mit denen er manchmal sogar die selben Ansichten teilt. Jan berichtet von einer Unterhaltung, die er einmal mit einem Polizisten im Danni führte, als die Zeiten dort noch ruhiger waren. Der Polizist habe zugestimmt, dass die Rodung zum Ausbau der Autobahn „[…]alles andere als Klimaschutz“ sei und beteuert, auch ihm sei das Thema wichtig. Aber für ihn zähle die eigene Meinung im Job nicht.

„[… ]manchmal denk’ ich mir: Stumpf Befehlen folgen ist halt auch nicht der richtige Weg“, sagt Jan dazu. Aber als Polizist*in repräsentiere man nun mal den Staat und mit ihm bisweilen auch Dinge, die der eigenen Meinung widersprächen, weiß er.

Ich frage ihn, was seiner Meinung nach auf einer Checkliste stehen müsste, an der sich die Polizei für „besseres“ Verhalten orientieren könnte. „Vorher überlegen: Ist das jetzt notwendig? Führt das wirklich zum Ziel?“, schlägt Jan vor. Zudem wünscht er sich mehr Deeskalation anstelle von aggressivem Auftreten. Außerdem dürfe die Polizei nicht mehr länger nur die Beschützende von einem ausgewählten Teil der Gesellschaft sein. Damit seien sie nämlich nicht, „[…]was sie eigentlich sein sollten“, findet Jan.

Der Ge­set­zes­kampf

Die Sitzpolster in der Polizeidirektion Hannover sind sehr weich. Es dauert allerdings nicht lange, bis ich wieder aufstehe, um Christopher Seegers in sein Büro zu folgen. Herr Seegers hat Höhenangst und sich deshalb gegen den Pilot*innen-Beruf und für die Polizei entschieden. Seine Uniform hängt neben der Tür, heute trägt er einen blauen Pullover. Er ist Beauftragter für Jugendsachen in der Polizeiinspektion Hannover. Das beinhalte Präventionsarbeit in Schulen mit dem Ziel, Jugendkriminalität vorzubeugen und aufzuklären, aber auch direkten Kontakt mit straffälligen Jugendlichen, fasst er zusammen.

Herr Seegers spricht von „speziellen Bedürfnissen“ dieser „ ganz speziellen Zielgruppe“ und dass diese Zielgruppe Orte brauche, von denen sie nicht ständig verscheucht werde. Denn sie hätte das gleiche Recht wie Ältere, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Die Öffentlichkeit hingegen stempele Jugendliche häufig als „[…] störend, laut, […] und aggressiv […]“ ab. Sie nehme Jugendkriminalität als „immer schlimmer“ werdend wahr, dabei sei diese in den vergangenen Jahren sogar stetig abgesunken. Diese vorurteilsbehaftete Wahrnehmung sei ein gesellschaftliches Problem, findet er. Viele Klischees würden den Jugendlichen „[…]von außen übergestülpt […]“.

Aber während die allgemeine Kriminalitätsrate absinkt, steigt die Anzahl von Fällen, in denen Jugendliche „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ geleistet haben von 2019 auf 2020 um 38,82%. Dieser Anstieg bezieht sich natürlich nur auf einen Zeitraum von einem Jahr und steht deshalb vorerst nicht für einen repräsentativen Aufwärtstrend. Dennoch ist diese Zunahme beachtlich. Auch Herr Seegers habe so eine Form des Widerstands, bzw. der Gewalt schon erlebt. „Das gehört aber zum polizeilichen Alltag dazu“, räumt er ein, dafür werde man ausgebildet.

Jans Vorwurf der „Unverhältnismäßigkeit“ auf Polizeigewalt bezogen findet er aber kritisch, denn Verhältnismäßigkeit sei subjektiv. „Ich muss […] als Polizeibeamter meine Maßnahme durchsetzen. Kann ich auch zur Not mit Zwang machen“, auch wenn sich natürlich so lange wie möglich um Deeskalation bemüht werde, wie er hinzufügt. Wenn man sich dennoch ungerecht oder unverhältnismäßig behandelt fühle, „[…] kann man jeden Polizei-Einsatz rechtlich überprüfen lassen“, dann setze sich ein Gericht mit der Anzeige auseinander, erklärt Herr Seegers.

Und noch etwas sagt er zu der Durchsetzung solcher Maßnahmen. Dabei könne es nämlich auch schon mal vorkommen, dass man Menschen beschützen müsse, deren Meinung man nicht teile. Z.B., wenn man als Polizist*in eine genehmigte „Querdenker-Demo“ sichern müsse. Das habe etwas mit Meinungsfreiheit zu tun. „Das hat aber nichts mit Gehorsam und Befehlen zu tun, sondern mit Einhaltung von Gesetzen. Und wenn sich die Polizei schon nicht mehr an Gesetze hält, wer dann?“ Und so musste wohl auch Jans Polizist aus dem Danni seine Meinung zurückstellen, um das Gesetz auszuführen.

„Meinungsfreiheit ist eines der höchsten Güter, die wir haben“ , sagt Herr Seegers. „Und wahrscheinlich werde ich mit einem überzeugten Linken, wenn wir über Polizei reden, nie auf einen Nenner kommen.“ Auch nicht mit Jan. Aber diskutieren und seine Meinung äußern könne man. Und eben dafür ist die Meinungsfreiheit verantwortlich, die er als Polizist wohl schützt, indem er seine persönliche Meinung im Polizeieinsatz zurückstellt.

Und so wie er manchmal seine Meinung zurückstellt, habe er auch die Wut im Polizeiberuf abgelegt. Er sei niemals wütend auf die Jugendlichen, auch wenn er mit einzelnen mal nicht übereinkomme. „Wenn ich ein Problem mit einem Jugendlichen habe, sind ja nicht alle Jugendlichen doof.“ Auch gebe es keine ähnliche Abkürzung, die die Polizei für Jugendliche verwendet und welche mit „ACAB“ zu vergleichen ist. „Ich arbeite ja […] für die Gesellschaft und für […] und mit Jugendlichen“, sagt er. „Warum sollte ich die anfangen, zu beleidigen?“

„ACAB“ bezieht sich ja aber laut Jan nicht auf einzelne Polizist*innen, sondern auf das System Polizei, dessen Strukturen kritisiert werden. „Die Polizei muss aushalten, dass sie kritisiert wird“, sagt Herr Seegers. Auch die Kritik in Form von „ACAB“ , die meist durch Jugendliche ausgeübt werde. Dennoch stimme er dieser Kritik nicht zu. „Es gibt viele, viele Polizeibeamte, die richtig, richtig gute Arbeit machen und es gibt wenige […], die das nicht tun.“ Diese wenigen landeten dann aber meist in der Presse, bedauert er.

Aber denkt er denn nicht, dass die Polizei ein Problem mit Racial Profiling hat?

„Nein“, ist Herr Seegers überzeugt, auch wenn er nicht für die gesamte Polizei sprechen könne.

Er kenne keine Polizist*innen, „[…] die jemanden kontrollieren aufgrund seiner Herkunft“ und auch ihm sei es „[…] schnuppe, wo jemand herkommt.“ Er fährt fort „Wir haben in Deutschland […] eine Polizei, bei der es völlig egal ist, welches Geschlecht Sie haben, wie viel Geld Sie verdienen, wo Sie herkommen, wenn Sie ein Problem haben, wird Ihnen in der Regel geholfen.“ Nun, dies wäre ideal. Aber scheitert dieses Ideal nicht an der Umsetzung, wenn Schwarze Menschen und POCs über Diskriminierung durch Racial Profiling berichten, wie es die Studie der Ruhr Universität Bochum zeigte?

In diesem Artikel sprechen plötzlich wieder nur weiße Menschen über Rassismus, aber ich möchte hier nun wenigstens eine Schwarze Autorin zitieren. Folgendes schreibt Tupoka Ogette in ihrem Buch Und jetzt du, in welchem sie darüber spricht, wie man selbst Rassismus erkennen und ihn daraufhin abbauen kann: „[…] natürlich gibt es offen rassistische Menschen. Menschen, die bekennende Neonazis sind […]. Aber diese Menschen sind nur die Spitze des Eisbergs. Und sie speisen ihren Rassismus aus einem System und einer Gesellschaft, deren Fundament von Rassismus durchdrungen ist. Es ist eine gesellschaftliche Schieflage, in die wir alle hineingeboren werden[…].“

Der Rassismus „[…] sitzt in Kinder- und Schulbüchern.[…] Er befindet sich in unseren Denkmustern und in unserer Sprache.[…] Genau deshalb ist er schwer zu dekodieren, schwer zu verstehen, nachzuvollziehen, zu begreifen und zu erkennen.“

Demnach sind wir also alle, du und ich, rassistisch sozialisiert. Und wie kann die Polizei dann davon ausgenommen sein?

Im Grunde wäre so eine Rassismus-Studie, wie Horst Seehofer sie abgesagt hat, also nicht nur bei der Polizei nötig, sondern in unserer ganzen Gesellschaft.

Herr Seegers würde zu der Polizei-Studie nicht nein sagen. „Wenn man sich verbessern kann, warum nicht?“

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