Top Gun: Höhenflug mit Hollywood

Als Top Gun 1986 in die Kinos kam, war es ein globaler Erfolg. Das US-Militär ergatterte auch Profit: nach Top Gun wuchsen die Rekrutierungen rasant. Der Deal mit Hollywood war einfach: das Militär soll vorteilhaft dastehen, dafür erhalten Regisseur*innen hochwertiges Militär-Equipment und Soldat*innen für die Produktion. Die Armee ging Hand in Hand mit Hollywood am roten Tep-pich entlang, um Soldat*innen anzuwerben. Der Military Entertainment Complex war geboren – und hält bis heute an.

Gesellschaft / Kultur

von Yasmin O am 27. Juni 2022

Bild aus dem Film Top Gun, Bildquelle: 1986 © Paramount Pictures

Als Zuschauer*innen 1986 Top Gun zum ersten Mal sahen, stand Rekrutierungswerbung des US-Militärs neben den Kinosälen. Wofür würde die Armee Kinozuschauer*innen benötigen? Das Militär wartet draußen auf sie, bereit um sie anzuwerben. Top Gun war für dieses Ziel eine ausgezeichnete Werbung. Tom Cruise schwebt durch die Luft, entgeht dem Tod und feiert mit seinen Kameraden den Sieg. Ohne die Hilfe von echten US-Militärsoldat*innen wäre der Film kaum machbar gewesen. Während Tom Cruise und Anthony Edwards ihre Flieger bedienen, arbeiten im Hintergrund echte Soldat*innen. Dabei sieht alles real aus – das ist auch gewollt. Die Flugzeuge und Militärbasen sind keine Sets, sie werden von echten Pilot*innen benutzt. Im Austausch verlangt das US-Militär eine Sache: die Skripte der Filme überarbeiten zu dürfen. Da verbirgt sich die Gefahr.

Dreh­bü­cher aus­tau­schen mit dem Pen­ta­gon

1927 hatte das Verteidigungsministerium auch eine Filmproduktion gefördert. Wings gewann den Oscar als „Bester Film“ und startete den Beginn einer Liaison mit dem Militär. Seit 1927 waren es insbesondere Filmemacher*innen, die die Hilfe des Militärs in Anspruch nahmen. Von der Serie NCIS bis zu dem Film Battle LA war die Armee in der Produktion und dem Skript involviert. Seither wird es Military Entertainment Complex genannt. Es bezeichnet eine Beziehung, die beide Seiten unterstützt. Der Deal hört sich lukrativ an: Produzent*innen erhalten Zugang zu Equipment, Location und Militärinfo. All das ist enorm nützlich für Filmemacher*innen. Durch diesen Zugang wird der finale Film authentischer. Im Gegenzug poliert das Militär sein Image und löscht negative Seiten aus den Drehbüchern. Doch zu welchem Preis?

Tom Crui­se: Ki­no­star und Mi­li­tär­held

Die Armee kontrolliert ihr eigenes Image, indem sie in Filmen exzellente Soldat*innen sind. Sie sind die Held*innen, nicht die Antagonist*innen. Das Verteidigungsministerium hat eine eigene Abteilung, die Hollywood Skripte begutachten. Robert Anderson, der im Pentagon für die Hollywood Skripte zuständig ist, erläutert klar sein Ziel 2006 im Interview mit dem Fernsehsender PBS: er betont, dass das Militär große Macht besitze, weil es ihre Schiffe und ihr Equipment seien. Das müssten Regisseur*innen bedenken, wenn sie von der Navy Unterstützung wollen. Wenn das Pentagon ein Drehbuch nicht akzeptiert, könne die Produktion nicht vorankommen.

The Hollywood Reporter preist in ihrer Rezension aus 1986 insbesondere die Actionszenen in Top Gun: Tom Cruise sei umwerfend als ,,prima donna sky star“. Vor Top Gun war so ein Lob kaum denkbar gewesen. Nach der katastrophalen Niederlage in Vietnam, bei der 58.220 US-Soldat*innen starben, war das Militär nicht populär. Die Kriegsverbrechen der US-Armee, wie bei dem Massaker von My Lai, hafteten sich in die Erinnerung der Bevölkerung. Bei dem Massaker wurden mehr als 500 Vietnames*innen von US-Soldat*innen getötet und viele Frauen wurden vor ihrer Ermordung vergewaltigt. Der Krieg wurde auch in der Heimat immer weniger geschätzt. Die Anti-Kriegsbewegung gewann rasch neue Anhänger*innen: Student*innen demonstrierten in Washington, D.C. gegen das Militär und den Krieg.

12 Jahre nach dem Fall von Saigon wurde der Ruf der Armee aufgewertet. Jedenfalls wenn man Top Gun gesehen hat. Regisseur Tony Scott holte sich Unterstützung vom Pentagon und kreierte einen Film mit heldenhaften Soldat*innen. In Top Gun war nichts von Kriegsverbrechen oder Kritik am Militär zu finden. Stattdessen singen die Navy Piloten You’ve Lost That Loving Feeling in einer Bar. Die Pilot*innen begeben sich auf waghalsige Missionen und besiegen am Ende den Feind.

Eine Pre­mie­re mit Film­stars und Sol­dat*in­nen

Die Filmpremiere der Fortsetzung fand Ende Mai 2022 auf einem Navy Stützpunkt in San Diego statt. Auch Carlos del Toro, Marinestaatssekretär, ging mit auf dem roten Teppich entlang. Bei der Premiere bekundete Tom Cruise seine Bewunderung für die Navy Soldat*innen: Top Gun: Maverick gehöre ihnen. Filmstars neben Soldat*innen erzeugen ein glänzendes Bild.

Die Realität sieht weniger anziehend aus. 2018 wurden im US-Militär 6053 sexuelle Übergriffe gemeldet. Seit 2001 haben sich 114.000 amerikanische Soldat*innen das Leben genommen, weil sie unter starken posttraumatischen Belastungsstörungen litten. Warum ist davon nichts in Top Gun zu sehen?

Top Gun hat die Art verändert, wie das US-Militär in Filmen porträtiert wird. Der Film setzte einen Domino-Effekt in Gang. Bis heute lassen sich ähnliche Filme finden, die das Pentagon finanziert hat: The Hurt Locker, der von Soldat*innen im Iraq-Krieg handelt und Pitch Perfect 3, wo die Protagonistinnen Konzerte auf Militärbasen geben. Es gibt Punkte, bei denen Produzent*innen Acht geben sollen, wenn die Armee Mithilfe anbietet. Tabuthema sind zum Beispiel sexuelle Übergriffe. Kritische Meinungen über das Militär werden ebenfalls aus Drehbüchern herausgestrichen. Die Soldat*innen müssen in erster Linie eines tun: die Held*innen spielen.

Michelle Obama sprach im Juni 2012 mit Filmproduzent*innen über Hollywood und das Militär. Sie äußerte sich positiv zu der Verbindung, aus der viel Gutes entstehen könne: Amerika solle durch ihre Geschichten eine unentdeckte Seite von Soldat*innen sehen.

Das, was Hol­ly­wood nicht se­hen soll

Das Pentagon hat demnach die Kontrolle darüber, wie sie in Medien porträtiert werden. Wenn Suizide bei Soldat*innen besonders hoch sind, oder wenn das Militär Bomben im Iraq abwirft, dann ist Hollywood bereits da. Durch ihren direkten Einfluss bei Filmen gibt es wenige Werke, die sich kritisch mit dem US-Militär befassen. Seit 2002 befindet sich die USA in sogenannten ,,Forever Wars“: über 20 Jahren waren sie in Afghanistan und im Iraq stationiert. Im Einsatz starben über 7000 Soldat*innen. 30.177 Soldat*innen und Veteranen*innen haben nach den Einsätzen in Afghanistan oder im Iraq Suizid begangen.

Es gibt ungefähr 750 US-Militärbasen in 80 Ländern. Kein anderes Land betreibt so viele. Die USA gaben im Jahr 2020 ganze 778 Billionen Dollar für ihr Militär aus, mehr als Russland und China kombiniert. Das Militär ist stark in die Gesellschaft eingebunden. Hollywoods Filme geben ihnen ein ehrenwertes Ansehen.

 Kriegsverbrechen in Vietnam oder im Iraq werden nicht durch beliebte Militärfilme ungeschehen gemacht. Keiner würde den Eindruck bekommen, dass US-Soldat*innen Massaker in Vietnam angerichtet haben, wenn man Top Gun sieht.

,,Alle klat­schen Tom Crui­se zu“

Es sind gerade die jungen Menschen, die sich den Film begeistert anschauen. Wen die Armee braucht, sind sie. Um neue Rekrut*innen anzuwerben sind Filme ideal: man will dann auch Tom Cruise nacheifern und durch die Luft fliegen.

Diese Medien werden gerade von jungen Menschen konsumiert. Die Einberufungen nach dem ersten Top Gun Film waren signifikant hoch. Wie wird es dieses Jahr mit der Fortsetzung aussehen?

Marie, 22, Studentin aus Hamburg, berichtet von ihrem Kinoerlebnis: ,, Der Kinosaal war voll, alle klatschen Tom Cruise zu.“ Auch sie habe nie einen so aufregenden Film gesehen: ,,Am Ende wollte ich mir Top Gun unbedingt nochmal ansehen.“ Auf Rotten Tomatoes, eines der beliebtesten Filmwebsites, hat der Film bereits 97%. Filmkritiker Peter Howell gibt in seiner Rezension zu, dass der Film das 1986 Original überbiete. Eines hat sich aber nicht verändert: nach wie vor verherrlicht der Film das Militär mit allen Mitteln.

Ein Projekt des Jugendpresse Deutschland e.V.

Mauerstr. 83-84, 10117 Berlin

kontakt@politikjam.de

+49 30 3940 525 00