Utopie einer rohstoffarmen Welt – gerechter, günstiger, glücklicher?

„Let’s not fuck this up. (…) Beenden wir den Mythos der Alternativlosigkeit. Es geht auch anders.“ Es ist klar, dass Luisa Neubauer mit dieser universellen Forderung auf der re:publica 22 die Bekämpfung der Klimakrise adressierte. Und auch ohne eine grundlegende Veränderung unseres globalen Konsums von metallischer Rohstoffe, kann das 2 Grad Ziel nicht erreicht werden. Wie geht also dieses „Anders“ bezogen auf unseren Umgang mit Metallen, wenn der Bedarf durch den Bau zahlreicher neuer Windparks und Photovoltaikanlagen zwangsweise steigen wird?

Klima / Neueste

von Mathilda K am 27. Juni 2022

Bildquellen – links: Mathilda Kratz, rechts: shutterstock/Petair

Das Gefühl, dass sich etwas an unserem Konsumverhalten verändern muss, kommt spätestens auf, wenn man sich die Lebenssituation der Menschen in einer Abbauregion metallischer Rohstoffe anschaut. Ein eindrückliches Beispiel ist hier der Bauxitabbau für die Aluminiumproduktion in Guinea. Zusätzlich machen allein der Abbau und die Weiterverarbeitung von Bauxit und Eisenerz 11% der globalen THG Emissionen aus. Klima- und Ressourcengerechtigkeit können also nicht getrennt voneinander betrachtet werden.

Das wird besonders deutlich, wenn man sich den Ausbau der Erneuerbaren Energien und der E-Mobilität anschaut. Einerseits wird der Bedarf an metallischen Rohstoffen zwangsläufig steigen, wenn wir den Ausbau der Windparks, Photovoltaikanlage und E-Mobilität beschleunigen. Andererseits steigen damit auch Menschenrechtsverletzungen, Umweltzerstörungen sowie Treibhausgasemissionen. Steuern wir also von einer Krise in die nächste?

Zivilgesellschaftliche Organisationen und Forschende warnen davor, Energiewende und Ressourcenwende gegeneinander auszuspielen. Es lohnt sich genauer hinzuschauen, wie groß der Anteil der Grünen Technologien an unserem zukünftigen Metallbedarf sein wird.

Res­sour­cen­ein­spa­rung und Aus­bau Er­neu­er­ba­rer En­er­gi­en – eine Sack­gas­se?

Eine Studie des Öko-Instituts liefert Informationen dazu, ob Grüne Technologien entscheidend für die Steigerung des Bedarfs an sogenannten „critical raw materials“ (kritische Rohstoffe) sind. Eine hohe Bedeutung für Grüne Technologien haben laut dem Paper die Rohstoffe Kobalt, Lithium, Niobium, Tantal und seltene Erden.

Folglich wird ihr Bedarf zukünftig stark steigen, was zu hohen Werten führt, wenn man den zukünftigen mit dem aktuellen Rohstoffbedarf vergleicht. So soll die Lithium Produktion bis 2050 um das 45-fache auf 3,8 Megatonnen (Mt) steigen. Lithium braucht man vor allem für Batterien in Elektroautos, Smartphones und Laptops.

Ein anderes Bild ergibt sich jedoch, wenn man die prognostizierte Nachfrage dieser Metalle mit der aktuellen Produktion anderer Materialien vergleicht. So wurden allein 2019 2454 Megatonnen (2,45 Mrd. Tonnen) Eisenerz produziert, welches in Form von Eisen und Stahl zu großen Teilen die Bau- und Automobilindustrie fließt. Der direkte Vergleich ergibt: Der 45-fache Anstieg des Lithium Bedarfs bis zum Jahr 2050 entspricht nur ca. 0,0016% der aktuellen Eisenerzproduktion.

Vergleich: Eisenerz- und Lithiumproduktion, Grafik von Mathilda K

Die Autor*innen der Studie kommen zu dem Schluss: „Der künftige Bedarf an Batteriematerialien macht nur einen Bruchteil der derzeitigen Produktion metallischer Rohstoffe aus.“ Andere Sektoren, die eine hohe Nachfrage nach kritischen Rohstoffen bedingen, sind die Digitalisierung, Verteidigung, Luft-und Raumfahrt und die Stahlindustrie. Gerade auch deswegen muss sich unsere Rohstoffnutzung und unser Verbrauch grundlegend ändern. Denn wird unser Rohstoffverbrauch ab 2030 nicht sinken, wird es unmöglich werden, das 2°C Ziel noch einzuhalten.
Da der Bedarf an metallischen Rohstoffen für grüne Technologien kurzfristig nicht durch Recycling ersetzt werden kann, muss er momentan noch durch den Abbau von Primärrohstoffen gedeckt werden.

Was muss also kurz- und langfristig passieren?

1.) Wir müs­sen un­se­ren Ver­brauch re­du­zie­ren!

Da Effizienzsteigerungen bei der Produktion nicht den gewünschten einsparenden Effekt haben, muss unser absoluter Rohstoffverbrauch sinken. Ein Weg wären verbindliche Reduktionsquoten, wie sie zum Beispiel das Bundesumweltamt vorschlägt. Bis 2030 soll demnach der Verbrauch im Vergleich zu 2010 um 30% gesenkt werden, bis 2040 um 50% und so weiter.

Wie die Studie des Öko-Instituts zeigt, gibt es große Reduktionspotentiale in den verschiedensten Sektoren, zum Beispiel in der Automobilindustrie. Sie hat in Deutschland große Anteile am Gesamtverbrauch metallischer Rohstoffe. Deshalb darf der Fokus im Verkehrssektor nicht allein auf einer reinen Antriebswende (Austausch von Verbrenner-Motoren mit E-Autos) liegen. Stattdessen muss sich die Politik um eine umfassende Mobilitätswende bemühen. Dazu gehört der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel – vor allem in ländlichen Bereichen – sowie der Radinfrastruktur, weniger Individualverkehr, mehr Sharing Angebote.

Auf individueller Ebene bedeutet das: Wir brauchen ein Umdenken in unserer Gesellschaft und vor allem natürlich in den privilegierten Bevölkerungsschichten: In unserem Alltag äußert sich das z. B. dadurch, dass wir nur das wirklich Notwendige kaufen, unseren kaputten Toaster ins Reparaturcafé bringen oder mehr den öffentlichen Nahverkehr nutzen. In einer ressourceneinsparenden Welt bräuchten wir eine neue Definition von Wohlstand. Wie wäre es beispielsweise, wenn nicht die Menge an materiellen Gütern unseren Lebensstandard bestimmt, sondern andere Faktoren, wie das soziale Umfeld und ein gesundes und ausgeglichenes Leben?

2.) Statt li­nea­res ein zir­ku­lä­res Wirt­schafts­sys­tem!

Bildquelle: shutterstock/m.malinika

Zu einer echten Kreislaufwirtschaft zählt mehr als nur Recycling!

Es fängt schon bei einem nachhaltigen Design an, das eine Entnahme seiner Bestandteile vereinfacht und die Austauschbarkeit von kaputten Teilen sicherstellt. Dies soll eine längere Nutzungsdauer erhöhen. Viele fordern daher ein „Recht auf Reparatur“, welches Hersteller*innen dazu verpflichten würde, reparierfähige Produkte zu produzieren und Ersatzteile bereitzustellen. Für große Haushaltsgeräte wie Waschmaschinen, Kühlschränke und Spülmaschinen gibt es auf EU-Ebene bereits sogenannte „Ökodesign-Richtlinien“, doch was ist mit kleineren Geräten, wie Handys, Laptops und Wasserkochern?

Wenn das Produkt dann doch sein Lebensende erreicht hat, ist es wichtig, seine Bestandteile ordnungsgemäß zu sammeln. Bislang verfehlt Deutschland die europäische Sammelquote von 65% der in den drei Vorjahren in Umlauf gebrachten Elektrogeräte deutlich. Das „Elektro- und Elektronikgeräte Gesetz“ sieht beispielsweise vor, dass ab Juli 2022 auch in Lebensmitteldiscountern Elektrogeräte abgegeben werden können.

Damit mehr Metalle als jetzt recycelt werden, braucht es neben einer guten Sammlung mehr Fördergelder für Recyclingtechnologien und verbindliche Recyclingquoten für bestimmte Rohstoffe. Hier gibt es erhebliche Steigerungspotentiale, wie eine vom NABU in Auftrag gegebene Studie des Bundesumweltamtes zeigt. So könnten beispielsweise ganze 90% der produzierten Kupfer- und Aluminiummengen aus Reyzklaten – also aus recycelten Produkten – bestehen.

Doch auch Recyclingkapazitäten sind nicht unendlich. Für Rohstoffe, die deswegen zwingend der Umwelt entnommen werden müssen, muss folgende Prämisse gelten:

3.) Men­schen­rech­te und Um­welt­stan­dards in Lie­fer­ket­ten

Der Abbau von Primärrohstoffen muss unter menschen-, umwelt- und klimafreundlichen Bedingungen erfolgen. Da man sich nicht auf die Freiwilligkeit von Unternehmen verlassen kann, braucht es Gesetze, die Konzerne dazu verpflichten, entlang ihrer gesamten Lieferkette die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards zu gewährleisten. Ein kurzes Beispiel zur Verdeutlichung: Bauxit aus Guinea gelangt zur deutschen Raffinerie AOS Stade und wird dort zu Aluminiumoxid verarbeitet. Dieses kaufen Daimler, BMW und Audi, um es in ihre Autos einzubauen. Mit einem wirksamen Lieferkettengesetz müssten Audi, BMW und Daimler sicherstellen, dass beim Abbau des Bauxits in Guinea Menschenrechts- und Umweltstandards eingehalten werden.

Sorgfaltspflichten entlang der Bauxit-Lieferkette, Grafik von Mathilda K

Dazu gehört auch, dass Beschwerdemechanismen in Abbauländern eingerichtet werden, an die sich betroffene Menschen vertrauensvoll und ohne große Bürokratiehürden wenden können. Außerdem müssen Unternehmen vor Gericht verantwortbar gemacht werden, wenn Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen festgestellt werden.

Das deutsche, sogenannte Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz war ein erster, aber unzureichender Versuch. Momentan ist der Prozess zur Entstehung eines europäischen Lieferkettengesetzes in vollem Gange. Die Hoffnung besteht, dass dieses im Vergleich zu seinem deutschen Vorgänger fortschrittlicher sein wird.

Veränderungen können erst passieren, wenn ein Bewusstsein dafür da ist, dass etwas grundlegend falsch läuft. Genau wie die Klimakrise, beruht unser enormer Ressourcenverbrauch – Deutschland steht an fünfter Stelle im globalen Vergleich – auf kolonialer Ausbeutung. Wir beziehen nahezu 100% unserer metallischen Rohstoffe aus dem Ausland. Es ist unsere Aufgabe, und vor allem Aufgabe der Bundesregierung, Ressourcengerechtigkeit herzustellen. Und Lösungen für die Gestaltung dieser Utopie gibt es.

In diesem Sinne: „ Let’s not fuck this up!“

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