Wenn Geld dem Klimaschutz im Wege steht

Mehr Geld für Klimaschutz ist nötig. Doch heißt es oft: Staatsschulden seien gefährlich und das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Ist die Zeit von Zurückhaltung nun vorbei?

Klima / Neueste

von Jonas S am 9. Mai 2022

Bildquelle: Pepi Stojanovski https://unsplash.com/photos/MJSFNZ8BAXw

Unsere Herstellungsprozesse sind geprägt von klimaschädlichen Emissionen. Von der Energieversorgung über die Autoindustrie bis hin zum Baugewerbe. Überall sind größte Anstrengungen nötig, um wirtschaftliche Abläufe mit dem Ziel der Klimaneutralität zu vereinbaren. Dafür brauchen wir die passende Technik, aber auch den Willen, alte Verfahren mit neuen zu ersetzen. Aufgabe der Politik ist es, Bedingungen für die Wirtschaft zu schaffen, die mit gesellschaftlichen Zielen übereinstimmen. Für den Staat eröffnen sich vielfältige Möglichkeiten, um nachhaltige Infrastrukturen wie das Schienensystem der Bahn auszubauen oder klimafreundlicheres Wirtschaften zu unterstützen und durchzusetzen. Die Notwendigkeit eines solchen Umbaus bestreitet kaum jemand. Dennoch kommen wir schnell an den Punkt, wo Klimaschutz an der Finanzierung scheitert. Sind Investitionen in zukunftsfähige Projekte nur Geld, das späteren Generationen fehlen wird?

Mit Staats­aus­ga­ben durch die Kri­sen

In Zeiten der Krise gibt der Staat oft mehr Geld aus als in ruhigen Phasen, da er die bedrohten Einnahmen der Bürger*innen stabilisieren und Unternehmen vor der Pleite retten muss. In der Corona-Pandemie mussten wegen der wirtschaftlichen Stilllegung viele Arbeitende um ihren Arbeitsplatz fürchten. Die Bundesregierung reagierte mit einem breiten Auffangprogramm, bestehend aus Unternehmenshilfen, Kurzarbeitergeld, Kindergeldbonus und einer Senkung der Mehrwertsteuer. 2020 war klar, ohne erhöhte Ausgaben des Staates würde die Wirtschaft in sich zusammenfallen. Diese zusätzlichen Ausgaben konnten allerdings nicht aus Steuereinnahmen finanziert werden, sondern mithilfe von Krediten, also durch Staatsverschuldung. Diese massiven Mehrausgaben ließen den staatlichen Schuldenstand innerhalb von zwei Jahren um 332 Milliarden Euro steigen auf 2,32 Billionen Euro Ende 2021. (1)(2)(3)

Nicht nur die Bedrohung der Gesundheitskrise sowie ihre wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen ließen den Ausgabendruck steigen. Auch die Klimakrise ruft eine Politik hervor, die darauf drängt in den wirtschaftlichen Prozess einzugreifen. Mit der Ampel-Koalition als neue Bundesregierung wurden Pläne laut, die deutsche Industrie schneller klimaneutral umzugestalten.

Einige der Hauptziele sind zum Beispiel, Transporte aufs Schienennetz umzustellen oder Gebäude so zu bauen, dass sie weniger Wärme verbrauchen. Außerdem soll die Stromerzeugung auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Dazu ist es auch nötig, Möglichkeiten zu bieten, emissionsarme Energie zu nutzen. Beispielsweise müssen Gas- und Ölheizungen mit Wärmepumpen ersetzt werden und das Ladesystem für E-Autos weiter ausgebaut werden. Gerade dieser Fortschritt ist wichtig, denn einer der Hauptpfeiler der deutschen Wirtschaft ist die Automobilindustrie. Dort müssen, um sich auf Elektromobilität zu konzentrieren, ganze Produktionsprozesse ersetzt werden. Von Verbrennungsmotoren auf batteriebetriebene Antriebe umzusteigen, benötigt neue Maschinen und Fabriken. Dementsprechend planen Autohersteller mit massiven Investitionen. (12) (11)

Um diese Ziele zu erreichen, will das Wirtschaftsministerium private Investitionen in klimaneutralere Produktionsprozesse mit staatlichen Mitteln fördern. Das Ministerium geht davon aus, dass viele Unternehmen verunsichert sind, ob sich diese „Zukunftsinvestitionen“ lohnen und sie vermutlich auf die lange Bank schieben werden. Deshalb sei es nötig, den Unternehmen Planungssicherheit zu liefern mithilfe von öffentlichen Investitionen in Infrastruktur und Förderung von privaten Investitionen. Der Staat sieht sich in der Rolle, der privaten Wirtschaft Anreize und Sicherheiten für ihren eigenen Umbau zu geben. Sonst, so ist die Befürchtung, wird Deutschland seine Klimaschutzziele nicht rechtzeitig erreichen. (4)

Schran­ken der Staats­aus­ga­ben

Für die Pläne des Wirtschaftsministeriums benötigt es eine Menge Geld. Mehr als an Einahmen durch Steuern kurzfristig zur Verfügung stehen. Um zusätzliche Staatsausgaben zu finanzieren, will die Bundesregierung Schulden aufnehmen. Doch eine Schuldenaufnahme ist in Deutschland stark durch die sogenannte Schuldenbremse begrenzt. Diese Regelung beschränkt den Bund in seiner jährlichen Neuverschuldung. Er darf nicht mehr Schulden in einem Jahr aufnehmen als 0,35% des Bruttoinlandsprodukts. Die Schuldenbremse wurde 2009 von der Großen Koalition ins Grundgesetz geschrieben und kann nur mithilfe einer Zwei-Drittel-Mehrheit des Bundestages wieder abgeschafft werden. Ausschließlich in Krisenzeiten kann der Staat die Schuldenbremse für einen beschränkten Zeitraum aussetzen, um deutlich mehr Kredite aufzunehmen, als ihm unter normalen Umständen erlaubt ist. Eine solche Krise bildet auch die Corona-Pandemie, wodurch die Schuldenbremse ausgesetzt wurde. Allerdings soll sie wieder ab 2023 in Kraft treten. (5)

Ziel der Ampel-Koalition ist es, Investitionen in Milliardenhöhe für Klimaschutz und Digitalisierung zu finanzieren. Da die Schuldenbremse nicht auf absehbare Zeit abgeschafft werden kann, versucht die Bundesregierung, die Schuldenregeln zu umgehen. Ein solcher Versuch fand im Januar 2022 statt, als der Bundestag einen Nachtragshaushalt für 2021 beschloss. In dem vergangenen Jahr 2021 war der Bund im Zuge der pandemiebedingten Aussetzung der Schuldenbremse zu einer Kreditaufnahme von 240 Milliarden Euro berechtigt. Die alte Bundesregierung aus CDU und SPD schöpfte diesen Rahmen allerdings nicht vollends aus. Übrig blieben 60 Milliarden Euro, die der Bund noch als Kredite aufnehmen konnte. Das machte sich die neue Bundesregierung zu Nutzen, indem sie diese 60 Milliarden in einem Nachtragshaushalt für 2021 verbuchte. Sie füllte mit dem neuen Geld einen Klima- und Transformationsfonds. Dieser Fonds soll dazu dienen, auch in den nächsten Jahren Investitionen in Klimaschutz zu fördern. Dabei werden diese Ausgaben nicht unter die Regelungen der Schuldenbremse fallen. (6)

Und auch für den laufenden Haushalt wird noch die Aussetzung der Schuldenbremse bis 2023 ausgenutzt, um neue Kredite zur Finanzierung von Investitionen und zur Stabilisierung der Wirtschaft aufzunehmen. Finanzminister Christian Linder plant bis jetzt mit knapp unter 100 Milliarden Euro Neuverschuldung für 2022. Ab 2023 soll dann wieder die Schuldenbremse eingehalten werden. Zusätzlich soll es ein Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro geben. Dieses ist nicht von der Schuldenbremse betroffen, da es ins Grundgesetz geschrieben werden soll. Dafür benötigt die Ampel-Regierung die Zustimmung der CDU. (7) (13)

Staats­schul­den – Ge­fahr oder schöp­fe­ri­sche Kraft?

Durch diese komplizierten Finanzierungsverfahren zur Umgehung der Schuldenbremse entstand eine wilde Debatte über die Zulässigkeit solcher Finanzierungsverfahren. Im Bundestag wurde diskutiert, was nachhaltige Finanzen bedeuten. Ist es gerecht, notwendige Investitionen mithilfe von Staatsschulden zu finanzieren? Oder entstehen dadurch neue Ungerechtigkeiten, weil kommende Generationen mit der Last der Schuldentilgung beladen sind?

Schon lange sind Staatsschulden ein Dauerthema unter Politiker*innen und Ökonom*innen. Die einen sehen in der Schuldenbremse ein Mittel, um für einen soliden Staatshaushalt zu sorgen. Schulden werden von ihnen grundsätzlich als Belastung für kommende Generationen und für die Stabilität der Gesamtwirtschaft angesehen. Oft wird angenommen, dass, wenn der Schuldenberg immer weiter anwächst, der Staat die Zinsen nicht mehr tragen kann und schlussendlich die Steuerzahler dafür blechen müssen. (8)

Auf der anderen Seite befinden sich Ökonom*innen, die in erhöhten Staatsausgaben eine gute Seite sehen. Sie begrüßen, dass die Bundesregierung Milliarden für Investitionen in Zukunftstechnologien und Infrastruktur bereitstellt. Marcel Fratzscher, der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), warb ausdrücklich dafür, noch einmal „einen großen Schluck aus der Pulle“ (9) zu nehmen. Der Staat solle möglichst viele Kredite aufnehmen, bevor die Schuldenbremse 2023 wieder in Kraft tritt. Nur mit einer riesigen Investitionsoffensive kann die deutsche Wirtschaft aus der Corona Krise schnell herauswachsen. Dabei soll sie zukunftsfähig und klimaneutral werden. Die angehäuften Schulden wären weit unproblematischer, wenn die Wirtschaft wieder ins Rollen gerät, als wenn durch zu wenig Ausgaben das Wirtschaftswachstum ausbleibt.

Die Erzählung vom Staat, der nicht mehr Geld ausgeben darf, als er einnimmt, ist nicht unumstritten. Staatliche Kreditaufnahme wird nicht mehr von allen als grundsätzlich lähmende Schuldenlast wahrgenommen. Neue Perspektiven machen sich auf, die in staatlicher Investitionspolitik Möglichkeiten sehen, Klimaschutz in allen wirtschaftlichen Sektoren von Gebäudebau über Industrie bis zum Transport durchzusetzen. Es gibt Bündnisse wie Fiscal Future, wo junge Menschen die These hinterfragen, dass Staatsschulden ungerecht für die nächsten Generationen seien. Sie wollen nicht, dass Deutschland auf Sparpolitik setzt, sondern Klimaschutzprojekte mit genügend Geld unterstützt. In einer Reihe mit ihnen stehen die Politiker*innen und Ökonom*innen, die den Staat zu mehr öffentlichen Investitionen in energieeffiziente Verkehrsnetze, Energieversorgung, Industrie, Gebäudebau, Digitalisierung und Bildung auffordern. Angesichts der seit Jahrzehnten ausbleibenden privaten Investitionen zielen sie auf ein Umsteuern hin zu einem aktiv investierenden Staat. (10) (11)

Die Phrase, dass Staatsschulden nachhaltig die Ausgabemöglichkeiten von kommenden Generationen lähmen, ist keine ultimative Wahrheit. Man darf ihr nicht einfach unbegründet zustimmen. Besonders dann, wenn angeblich Geld für Klimaschutz fehlt, liegt es im Interesse von kommenden Generationen, diese Phrase zu hinterfragen. Staatsschulden sind im Zweifel verkraftbar, ein zerstörter und überhitzter Planet dagegen nicht.

Quellen:

1 https://www.welt.de/debatte/kommentare/article208076213/Corona-Hilfen-Der-schaedliche-Hype-um-die-Staatsverschuldung.html

2 https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Oeffentliche-Finanzen/Schulden-Finanzvermoegen/Tabellen/liste-vorlaufuger-schuldenstand-gesamthaushalt.html

3 https://www.zeit.de/wirtschaft/2022-03/staatsverschuldung-oeffentliche-haushalte-bund-hoechstwert-corona-pandemie

4 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Wirtschaft/jahreswirtschaftsbericht-2022.pdf?__blob=publicationFile&v=18 Seite 27; 37; 43ff.

5 https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/292470/vor-zehn-jahren-einfuehrung-der-schuldenbremse/

6 https://www.zdf.de/nachrichten/politik/nachtragshaushalt-2021-bundestag-beschlossen-100.html

7 https://www.tagesschau.de/inland/lindner-haushaltsdebatte-101.html

8 https://www.wiwo.de/politik/deutschland/staatsverschuldung-zoff-um-die-schwarze-null/24100602-all.html

9 https://www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunktur/oekonomen-schulden-finanzierung-101.html

10 https://fiscalfuture.de

11 https://www.boeckler.de/pdf/p_imk_report_152_2019.pdf

12 https://www.boell.de/sites/default/files/2021-12/boell.brief%20G18%20Transformation%20der%20Automobilindustrie.pdf

13 https://www.tagesschau.de/inland/bundeswehr-sondervermoegen-103.html

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