Wer will Wachstum?
Von Robert Habeck bis zu den Finanzmärkten – alle träumen vom unendlichen Grünen Wachstum. Dagegen regt sich Widerstand. Lassen Klimaneutralität und begrenzte Ressourcen ein ständig sich erweiterndes Wirtschaften zu?
Bildquelle: Danist Soh (unsplash)
Immer mehr grün, aber in grün
Woran muss sich der Erfolg einer Wirtschaft messen? Die schnellste Antwort darauf lautet: Wachstum. Wirtschaftswachstum meint, dass das Bruttoinlandsprodukt (kurz: BIP) ständig wächst. Das bedeutet nichts Anderes, als dass immer mehr Güter und Dienstleistungen pro Jahr geschaffen und verkauft werden. Zum Beispiel steigt das BIP, wenn jährlich statt hundert Fahrräder zweihundert Fahrräder fertiggestellt werden. Über die Verteilung, Nützlichkeit oder Nachhaltigkeit ist dabei noch nichts gesagt. Für das BIP ist es egal, ob wir Verbrenner-Motoren, Elektro-Autos oder Regionalzüge herstellen. Die Wirtschaft wächst, wenn Unternehmen immer mehr produzieren können und dabei auf willige Konsument*innen stoßen. Doch geht damit meist ein höherer Ressourcen- und Energieverbrauch einher und dadurch ein größerer Ausstoß von Treibhausgasen.
In den letzten Jahren wuchs die Hoffnung auf ein sogenanntes Decoupling. Das meint, dass trotz wachsendem BIP der Ausstoß klimaschädlicher Gase viel schwächer wächst oder sogar zurückgeht. Der Traum, der sich dahinter verbirgt, hat das Ziel, durch technische Effizienzsteigerungen und Einsatz erneuerbarer Energien das Wirtschaftswachstum von Treibhausgas-Emissionen loszulösen. Hinter der Idee des Grünen Wachstums steckt der Glaube daran, dass eine klimaneutrale Wirtschaft möglich ist, die ewig weiterwachsen kann. Mithilfe von fortschrittlicher Technik, wie Recycling, Wind- und Solarenergie, sollen wir weiterhin mehr Fahrräder und Regionalzüge herstellen können, ohne das Klima zu schädigen. Verzicht ist nicht nötig. Auch die derzeitige Bundesregierung hat nicht den Plan vom Wirtschaftswachstum abzuweichen.
Mehr geht nicht
Für die sogenannten Wachstumskritiker*innen ist Grünes Wachstum eine Unmöglichkeit. Aus ihrer Sicht ist jede Steigerung des BIP verbunden mit Klimaschäden. Aus verschiedenen Gründen glauben sie nicht an eine realisierbare Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Umweltschäden. Der Anthropologe Jason Hickel gibt zwar zu, dass in letzter Zeit die Wirtschaften der Industrieländer deutlich schneller gewachsen sind als der CO2-Ausstoß. Aber dieses Decoupling ist viel zu langsam, so dass es Jahrzehnte bräuchte, um eventuell zu einer Klimaneutralität zu gelangen – zu spät, um die Klimakrise aufhalten zu können. Die Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann bezweifelt überhaupt, dass eine Wirtschaft, die nur auf erneuerbaren Energien beruht, unendlich wachsen kann. Für sie sind auch diese Energien aufgrund von fehlenden Speicherkapazitäten knapp. Wenn die immer mehr erzeugten Güter, wie Elektroautos, vor allem auf Wind- und Solarenergie basieren sollen, stoße die Ausweitung der Energieerzeugung irgendwann auf ihre Grenzen.
Die Wachstumskritiker*innen wollen Wirtschaft auf eine andere Art gestalten: als eine Postwachstumsgesellschaft. In dieser sollen die zur Verfügung stehenden Ressourcen und Güter auf einem klimafreundlichen Niveau beschränkt bleiben. Es wäre dann Aufgabe der Gesellschaft oder des Staates, sie möglichst gerecht unter den Unternehmen und Bürger*innen zu verteilen. Nur noch so viele Fahrräder und Güterzüge sollen neu produziert werden, wie recyclebares Material zu Verfügung steht. Was weggeschmissen wird, muss wieder in den Wirtschaftskreislauf einfließen. Statt endloser Konsum soll Reparieren, Teilen und nachhaltige Nutzung von Gütern im Fokus stehen. Wenn der Abbau von natürlichen Ressourcen und Ausstoß von CO2 gestoppt werden sollen, müssen wir uns auf den vorhandenen Reichtum beschränken. Die Wachstumskritiker*innen betonen, dass ein gutes Leben dennoch möglich ist. Glück der Gesellschaft darf nicht im wachsenden BIP gesucht werden, sondern in sozialer Fürsorge und gemeinschaftlicher Arbeit, zum Beispiel in der ökologischen Landwirtschaft.
Ist Wachstum notwendig?
Wenn über ein Ende des Wachstums gesprochen wird, müssen einige Aspekte beachtet werden. Der Fokus der Wirtschaftspolitik auf das sich vergrößernde BIP existiert nicht ohne Grund. Sobald die Wirtschaft stagniert, kann die Krise beginnen. Im Kapitalismus investieren Unternehmer ihr Geld, um mehr Geld durch den Verkauf hergestellter Waren zu erhalten. Wenn im großen, gesellschaftlichen Maß der Kauf dieser Produkte ausbleibt, geht eine breite Reihe an Firmen und Anleger*innen pleite, weil sie ihr Geld fehlinvestiert haben. Das hat Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft. Zahlungen und Schulden können nicht mehr beglichen werden, viele Menschen verlieren den Wert ihrer Anlagen, Entlassungen und Massenarbeitslosigkeit können folgen. Der Ökonom Mathias Binswanger spricht deshalb auch vom “Wachstumszwang im Kapitalismus”.
Gleiches gilt, wenn mit dem Ziel einer Postwachstumsgesellschaft die Ressourcen zur Warenproduktion streng begrenzt wären. Plötzlich steht das bisherige Investitionsmodell vor dem Aus. Investiert wird normalerweise nur, wenn man dadurch gewinnsteigend eine größere Menge Produkte herstellen kann – dies bedeutet Wachstum und ist bei begrenzten Ressourcen, laut den Wachstumskritiker*innen, nicht möglich. Getätigte Investitionen lösen sich in verlorenes Geld auf. Ist der sich ständig erweiternde Fluss der Waren und des Geldes unterbrochen, steht die Wirtschaftskrise vor der Tür.
Doch theoretisch kann man sich eine Wirtschaft ohne Wachstum vorstellen. In der wachstumsfreien Gesellschaft würde jedes Jahr eine gleichbleibende Anzahl von Fahrrädern produziert. Als Rohstoff dürfen dafür nur alte, verschrotte Metalle und Kunststoffe dienen, die wiederverwendet werden. Auch hier bleiben den Fahrradhersteller*innen und Reparateur*innen ein Gewinn, indem sie eine Bezahlung für ihre Arbeit fordern, doch den Profit können sie langfristig nicht steigern. Der Knackpunkt ist nur, dass unser heutiges Wirtschaftssystem auf einer anderen Grundlage basiert: Investor*innen suchen nach Möglichkeiten ihren Profit zu steigern. Bei ausbleibenden Profiten ziehen sie ihre Gelder ab, sodass Unternehmen und Arbeiter*innen ihre wirtschaftliche Grundlage verlieren.
Eine funktionierende Postwachstumsgesellschaft ist also mehr als eine Aufteilung der vorhandenen Güter im jetzigen Wirtschaftssystem. Einfach nur zu kritisieren, dass wir zu viel konsumieren und auf mehr verzichten sollen, genügt daher nicht. Breiter Konsumverzicht wäre im Kapitalismus sogar selbstzerstörerisch. Nichtsdestotrotz bleibt unser jetziges Konsum- und Wirtschaftsmodell ebenfalls eine unhaltbare Bedrohung. Es zerstört die Umwelt, erhitzt das Klima, beutet knappe Ressourcen aus und raubt uns langfristig die Existenzgrundlage. Noch ist nicht entschieden, ob Grünes Wachstum real möglich ist oder nicht. Die Ausarbeitung eines konkreten Konzepts, einer nicht auf Wachstum basierenden Wirtschaftsweise wird andernfalls nötig sein.