Wie der Prozess zwischen Amber Heard und Johnny Depp Sexismus entlarvt.

Der Prozess zwischen Amber Heard und Johnny Depp erhitzte die Gemüter, die Kommentare und Memes dazu jedoch meines. Ein Kommentar über eine Gesellschaft, die ihren Sexismus entlarvt.

Gesellschaft / Neueste

von Martin H am 27. Juni 2022

Symbolbild einer feministischen Kundgebung gegen sexuelle Gewalt, Bildquelle: Mélodie Descoubes, unsplash

Vom vi­ra­len Pro­zess in­fi­ziert

Als das Urteil im Prozess zwischen Johnny Depp und Amber Heard verkündet wurde, versammelte sich ein Großteil der Netzgemeinde auf YouTube zum Livestream.

Alles machte den Eindruck, als würde nicht nur die Memeifizierung bestimmter Äußerungen von Amber Heard bezüglich ihrer Erfahrungen mit sexueller Gewalt durch ihren Ex-Mann Johnny Depp einen Höhepunkt erreichen, sondern auch die Art und Weise der teilweise zutiefst herablassenden Kommentare.
Während die Jury zu Gunsten von Johnny Depp entschied, kommentierten einige User*innen im Livechat der Urteilsverkündung: „Die Schl*mpe fängt an zu Heulen!! Hoffentlich sind das die ersten echten Tränen die sie heult“ oder: „Das Gute gewinnt gegen die Auswüchse von Wokeistan“. Als die Jury auch Amber Heard in einzelnen Punkten Recht gab, überwog allem zum Trotz die Freude zum ‚Sieg von Johnny‘.

Die Kommentare? Sie nehmen überwiegend Partei für Johnny Depp. ‚Er ist der Gute. Sie – das Böse‘.

Der prominenteste Kanal, der den Prozess live auf YouTube gestreamt hat, ist der Kanal Law and Crime Network. Dieser betitelt seine Videos mit Namen wie: „Jedes Mal, als Johnny Depp lachen musste“ oder „Jurist grillt Heards Aussagen“; auch jene Kanäle, die sich vorgeblich mit ‚Recht und Krimis‘ beschäftigen, schlagen eindeutig Partei. Das Ergebnis: Millionen von Klicks.

Hier soll es nicht unmittelbar um den Streit von Johnny Depp und Amber Heard gehen. Doch entlarvt der gesellschaftliche Umgang mit diesem Prozess so einige zutiefst bedenkliche Muster, die bei Opfern sexueller und häuslicher Gewalt (überwiegend FLINTA*) häufig zu deren Marginalisierung beitragen. Das Problem fängt nämlich schon bei den Diskussionen zu diesem Fall an. Spreche ich in meinem engeren Umfeld über die gesellschaftliche Dimension und über bestimmte Kommentare, wird stets abgelenkt. Weg vom Umgang in der Gesellschaft und hin zur Spekulation, welche dämonischen Pläne Amber Heard verfolgt.

Wie sind wir da bloß rein­ge­kom­men?

2018 äußerte sich Amber Heard in einem Meinungsartikel in der Washington Post zur damals jungen #MeToo Bewegung, deren Hintergrund die Missbrauchsfälle von Harvey Weinstein und die damit einhergehende Entlarvung sexistischer Machtstrukturen in Hollywood gewesen ist. Hierin sagte sie, ohne sich namentlich auf ihren Ex-Mann Johnny Depp zu beziehen, dass sie Opfer häuslicher Gewalt sei. Johnny Depp verklagte sie darauf wegen Verleumdung, er habe Filmaufträge verloren und verlange deshalb Schadensersatz und Abfindung. Heard reichte eine Gegenklage ein, ebenfalls wegen Verleumdung.

Wie konnte dieser Fall aber diese große Rezeption erhalten?

Nun, einerseits ist bei Johnny Depp offensichtlich: Er ist ein über mehrere Generationen zelebrierter Hollywoodstar und etablierter Schauspieler. Wir kennen ihn alle entweder aus Charlie und die Schokoladenfabrik als bleich-verträumten Willy Wonka oder dem nahezu komisch veranlagten Captain Jack Sparrow aus der Fluch der Karibik Saga. Teens der 80er ist er zudem aus der erfolgreichen Polizeiserie 21 Jump Street als Officer Tom Hanson bekannt. Und wie so häufig bei Stars, die identitäts- und sinnestragende Rollen verkörpern, identifizieren wir uns stark mit diesen Personen. Ein Hausvorteil für Johnny Depp. Er bezeichnete seine Unterstützer*innen als Teil seiner Familie. Seine Unterstützer*innen dazu: Ja. Das ist der Beweis, er sieht mich.

Amber Heard hingegen genießt nicht die Bekanntheit von Johnny Depp. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung zeigen sich hier also zwei Hollywood-Persönlichkeiten: ‚Der etablierte, gefeierte Schauspieler‘ der für wohltätige Videos, wie von dem Besuch eines kanadischen Kinderkrankenhauses gefeiert wird und dem seine ‚Drogen- und Alkoholproblemchen’ gerne mal verziehen werden vs. die unbekannte Schauspielerin, die jüngere, die den erfolgreicheren Schauspieler geheiratet hat und nun dessen Ruhm zu zerstören versuchen scheint.

Völlig verkannt wird hier jedoch die Rolle gesellschaftlicher, konkret patriarchaler Machtstrukturen. Diese wird scheinbar ignoriert, schließlich passt dieser Kontext augenscheinlich nicht in die Wahrnehmung von Amber Heard als ‚toxische Person‘.

Kul­tur­kampf im Krieg der Pro­fi­le

Der an der University of Macau lehrende Philosophieprofessor Hans-Georg Moeller sieht in diesem Prozess einen Kampf um ‚Profile‘. Einerseits die individuellen Profile, welche sich beide Akteur*innen angeeignet haben. Amber Heard, die sich selbst als Advokatin für alle von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen inszeniert und Johnny Depp als wehrfähiger Mann, der sich ebenfalls in eine Opferrolle stilisiert. Viel bedeutsamer ist jedoch die von Moeller beschriebene Übertragung der gesellschaftlichen Profile.

So sieht Moeller in dem Prozess die Versinnbildlichung eines Kulturkampfes: der der #MeToo Bewegung, durch die der Skandal um sexistische Machtstrukturen in Kultur und Gesellschaft auch im Kontext patriarchaler Machtstrukturen ausgetragen wird. Amber Heard steht für die ‚woke‘ Front. Das sind jene, die aufstehen gegen rassistische, sexistische und soziale Ungerechtigkeiten. Johnny Depp hingegen steht für die ‚reaktionäre male fragility‘, welche jeden Versuch der ‚Woken Gerechtigkeitsaktivist*innen‘ kontert, den gesellschaftlichen Status Quo umzustürzen. Jene konservative Gegenfront, welche klar ausdrückt: Nicht mit uns. Oder in den Worten von Moeller: „Eine rechtskonservative, libertäre Gegenbewegung“.

Konservative Akteur*innen bzw. jene in mächtigeren Positionen bedienen sich gerne einem ‚Selbstviktimisierungsnarrativ‘, bedeutet: sie stellen sich gerne als Opfer einer beliebigen Verschwörung dar. Häufig nutzen diese bestimmte Kernwahrheiten und verzerren diese in einem Kontext, der eine sehr einseitige Inszenierung zu eigenem Vorteil ermöglicht.

Diese Viktimisierung wird bei Johnny Depp voll und gänzlich fokussiert, teilweise von Männerrechtsgruppierungen und konservativen Akteur*innen, welche darin den perfekten Einstieg zu einer Gegenkampagne gegen die #MeToo Bewegung wahrnehmen und das gesellschaftliche Klima stark nutzen. Johnny Depp steht hier nun also als Beweis, dass Männer auch Opfer häuslicher Gewalt werden können.

Und ja, das ist wahr.

Das ist genau so ein ernstes Problem. Dieses ernste Problem wird jedoch lediglich als Farce, als Ablenkung genutzt, um vom eigentlichen Problem abzulenken: patriarchale Machtstrukturen (unter denen auch Männer leiden können) und der gesellschaftlichen Realität, dass FLINTA* viel eher Opfer häuslicher und sexuell motivierter Gewalt werden. Stichwort: Femizide.

Am Ende geht es nur um ei­nes: Den Ruf (des Pro­mis).

Der Prozess veranschaulicht ein weiteres Muster, welches in verschiedensten Skandalen um prominenten Persönlichkeiten in Bezug auf #MeToo ebenso häufig auftritt. Hier in Deutschland ist dies der Fall um Luke Mockridge, dem von seiner Ex-Freundin Ines Anioli vorgeworfen wurde, sie sexuell bedrängt und vergewaltigt zu haben. Recherchen des SPIEGELS offenbarten ein ganzes System, mehrere Betroffene meldeten sich zu Wort. Der prominente Medienanwalt Simon Bergmann, dessen Mandant Mockridge ist, argumentiert wie folgt: „Der Schaden den diese Vorwürfe auf den Ruf und die Reputation des Comedian haben könnten, wäre von einer dermaßen großen Tragweite, dass dieser die Karriere zerstören könnte“.

Ähnlich argumentierten Johnny Depps Jurist*innen und viele seiner Fans: Durch diese Vorwürfe und das Verhalten von Amber Heard wäre seine Karriere zerstört. Und auch wenn der Schaden des Rufes oder das Risiko für die Karriere bei ohnehin etablierten Persönlichkeiten ein Ärgernis für diese wäre, so offenbart unsere Art und Weise darüber zu reden, eine Perversion:

Ist der Ruf der etablierten Persönlichkeit öffentlichen Interesses also ein Schutzwürdigeres Rechtsgut als die körperliche und seelische Unversehrtheit von betroffenen Menschen? Von Menschen, die innerhalb einer Machtstruktur eine untergeordnete Rolle einnehmen?

Wenn wir weiterhin bei dieser Argumentation verweilen, machen wir eben diese Promis, aber auch die in der Machtstruktur begünstigten Personen weniger angreifbar. Vulnerabler bleiben hier per se Betroffene, während der Versuch von Betroffenen, ihre Erfahrungen auszusprechen als Versuch verbucht wird, den Ruf und das durchaus anschauliche Lebenswerk des Promis zu zerstören.

Der ewi­ge Kampf der Op­fer se­xu­el­ler & häus­li­cher Ge­walt.

Hier wird automatisiert, wie das Eigentliche – das Aussprechen valider Erfahrungen – entweder zur Nebensache verkommt oder zur einseitigen Unterstützung einer Seite völlig verzerrt und missbraucht wird. Es sind die Muster, die im Alltag unserer Gesellschaft vor allem FLINTA* zum Schweigen bringen und diese entmutigen.

Die tschechische, queerfeministische Aktivistin Isabela Hermová hat mir dazu erzählt: „Sie als Frau empfindet den Versuch von Frauen, gegen sexuelle Gewalt aufzustehen, häufig als Moment, an dem die Frau nichts zu gewinnen hat. Sie wird so oder so geächtet, der Vorwurf wird laut, sie wolle das doch nur für einen Zweck ausnutzen. Oder sie sei psychisch gestört – eine Strategie, welche des Öfteren in solchen Fällen angewendet wird, um die Perspektive des Opfers zu entwerten, unabhängig davon, ob diese Erfahrungen ein Trauma für die mentale Gesundheit darstellen oder nicht.“

Eine Gesellschaft, in welcher derart unverhohlen sexistische und misogyne Bemerkungen stehen gelassen und damit schweigend hingenommen werden – solange dies der Unterstützung eines in großen Teilen beliebten und unhinterfragten Promis dient – wird Opfer sexueller und häuslicher Gewalt nicht ermutigen. Ganz im Gegenteil: Offensichtlich bestehende Machtstrukturen werden dadurch sichtbar gemacht. Und auch wenn der Fall Amber Heard vs. Johnny Depp im Empfinden vieler Menschen die Situation nicht verschlimmert hat, so zeigt er offensichtlicher denn je die Dimension von Misogynie, Sexismus und der Widerstandsfähigkeit patriarchaler Strukturen in unserer Gesellschaft. Und egal inwiefern die Äußerungen von Amber Heard oder Johnny Depp wahr oder unwahr sind, sie rechtfertigen in keinem Fall eben diese misogynen, entblößenden Äußerungen.

Um mit einem Zitat der Journalistin Lucia Osborne-Crowley abzuschließen:

Johnny Depp wird eure Posts, die Amber Heard’s verstörende Vergewaltigungsvorwürfe in ein demütigendes Meme verwandelt, nicht sehen. Aber eure Freund*innen die sexuelle Gewalt überlebt haben werden dies sehen“.


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