Wir wählen Zukunft.
Ein Appell an die Politik von morgen
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Generation Z – Ihr. Ich. Wir alle. Eine Generation geprägt von Krise, Unsicherheit und Vernachlässigung zukunftspolitischer Interessen im 21. Jahrhundert. Was bewegt uns? Wie wirken sich Krieg, Klimawandel und Pandemie auf unsere mentale Verfassung aus? Was muss die Politik von morgen leisten, um uns als junge Wähler*innen anzusprechen? Uns zu leiten. Und vor allem: unsere Zukunftsängste zu mindern.
Der Pädagoge und Soziologe Prof. Dr. Klaus Hurrelmann setzt sich zusammen mit dem Jugendforscher Simon Schnetzer in der in Kooperation vorgenommenen Trendstudie des Winters 21/22 genau mit diesen Fragestellungen auseinander. Auch die Ergebnisse der Studie aus dem Frühjahr 2022 spiegeln in etwa diese Resultate wieder. Für den vorliegenden Artikel beziehen wir uns allerdings auf die Vorgängerstudie des Winters.
In einem Interview mit Prof. Hurrelmann wollen wir wissen, wie die verzeichneten Resultate mit der NRW-Wahl im Mai 2022 zusammenzubringen sind und sie dafür in Hinblick auf seine Theorie genauer auswerten.
Die Jugendphase stellt für Hurrelmann eine signifikant bedeutsame Entwicklungsphase des Menschen dar. Dem Individuum komme die Aufgabe zu, sich im sozial-gesellschaftlichen Miteinander zurechtzufinden (Integration), gleichzeitig Individualität zu erlangen (Individuation) und so eine konstante Ich-Identität auszubilden. Hierbei kämen individuelle Bewältigungskapazitäten (personale Ressourcen / bspw. Veranlagungen, Charakteristika), sowie gesellschaftliche Unterstützung (soziale Ressourcen/ bspw. die engsten Bezugspersonen) zu tragen, die essentiell seien, um die gegebenen Anforderungen zu erfüllen und die von Hurrelmann konstituierten „Entwicklungsaufgaben des Jugendalters“ zu bewältigen. Die Entwicklungsaufgaben seien zum einen das Qualifizieren des Individuums (der Erwerb schulischer/berufsvorbereitender Bildung), gleichweit das Binden (die Entwicklung einer partnerschaftlichen Bindung), sowie das Konsumieren (Fähigkeit zu kompetentem Umgang mit dem Waren-, Freizeit- und Medienangebot) und das Partizipieren (das Entwickeln eines tragfähigen Wert- und Normsystems und eines Daseins als politisch aktive(r) Bürger*in).
Was nun in Hinblick auf die Studie schnell deutlich wird: Pandemie prägt.
40% der jugendlichen Teilnehmer*innen (n=1014 / Alter: 14-29 Jahre) verzeichnen bei sich selbst in Hinblick auf die Corona Pandemie eine Verschlechterung des mentalen Gesundheitszustandes, wobei 36.8% das Gefühl eines Kontrollverlusts erleiden. Schulische und berufliche Perspektiven verschlechtern sich für 19.5% und der soziale Zusammenhalt nimmt für etwa 1/3 der Teilnehmer*innen ab. Übertragen lassen sich diese Daten im weiteren Sinne allerdings ebenfalls auf andere Krisenressorts, denn auch der aktuelle Krieg in der Ukraine und der Klimawandel gelten in besonderem Maße als Quellen der Verunsicherung.
Beachtlich ist hierbei der Zusammenhang zwischen diesen Daten und den Ausführungen Hurrelmanns. Entwicklung ist der/dem Jugendlichen in Krisenzeiten anscheinend schwerwiegend verwehrt.
Wie sollen wir lernen, uns zu binden, wenn wir dazu gezwungen sind uns sozial zu isolieren? Wie sollen wir lernen, nachhaltig und vernünftig zu konsumieren, wenn wir in übertriebenem Maße mit medialen Einflüssen konfrontiert werden? Wie soll ich meinen Schulabschluss ambitioniert verfolgen, wenn ich zuhause vielleicht nicht einmal ein eigenes Zimmer habe, in dem ich in Ruhe lernen kann, oder wenn ich existentielle Ängste habe, die im schlimmsten Falle meinen Alltag bestimmen? Und wie kann ich politisch partizipieren, wenn alle Entscheidungen, die mich betreffen, über meinen Kopf hinweg getätigt werden?
An diesem Punkt scheint es wichtig, auf die unterschiedlichen Verarbeitungsmechanismen von solchen „Desintegrationspotenzialen“ aufmerksam zu machen. Nach Ausführungen Hurrelmanns, die auch in etwa mit den Annahmen des Gewaltforschers Wilhelm Heitmeyer übereinstimmen, treffen wir in Konfrontation mit Verunsicherungspotenzialen auf drei verschiedene, typische Verarbeitungsweisen. Wir entwickeln entweder eine gewaltbereite, stimulierende (aktive), oder paralysierende/ nach Innen kehrende (lähmende/ Entwicklung psychischer Störungen) Grundhaltung. „Aktiv“ (auch im Sinne von konstruktiv) verarbeiten wir Reize zum Beispiel durch Sport oder Kunst. Wenn etwas destruktiv oder nach innenkehrend verarbeitet wird, dann verfallen wir beispielsweise in Depressionen, entwickeln Essstörungen, oder wenden uns einfach generell vom sozialen Miteinander ab.
Ziel sollte es natürlich sein, Verunsicherungen konstruktiv und damit aktiv zu bewältigen; nicht in eine gewaltbereite Haltung, oder Angststarre zu verfallen. Nur wie kann das gehen? Was kann die Politik dahingehend leisten? Was erhoffen wir uns also von der Politik und der Gesellschaft von morgen, wenn es darum geht, uns etwas zur Verunsicherungsbewältigung an die Hand zu geben?
Der Schlüssel laut Hurrelmann: die Integration, also die Eingliederung der/des Jugendlichen in Entscheidungen – nicht nur in politischer Dimension, sondern auf jeglichen Ebenen des gesellschaftlichen Miteinanders. Ziel sei es, durch Selbstwirksamkeitserfahrungen die eigenen Handlungsbereiche und –möglichkeiten zu erweitern und so eine Angststarre zu vermeiden.
Die fehlende Resilienzausbildung (Resilienz = psychische Widerstandsfähigkeit) des Individuums, die aus der Verzeichnung mangelnder sozialer Ressourcen resultiere (wie beispielsweise mangelnde Unterstützung durch das Elternhaus), gehe ebenfalls mit einem verminderten Gefühl der Kohärenz, also der Stetigkeit, oder der Gewissheit über die Kontrollierbarkeit einer Situation einher. Wir können nicht mehr absehen, was uns die Zukunft bringt. In diesem Kontext scheint es nur schlüssig, dass Jugendliche ihre politischen Interessen vor allem auf zukunftsbasierte Themen und damit progressivere, jüngere Parteien stützen, wie beispielsweise die Grünen (20%), oder die FDP (15.9%) (vergl. Wahltendenzen Studie).
Trotzdem fällt auf, dass prozentual mehr Frauen die Grünen und mehr Männer die FDP, sowie sonst allgemein eher konservative Parteien wählen. Laut Hurrelmann lasse sich dies durch die jeweils auferlegten Geschlechtsrollenbilder erklären: Frauen, die eher zu (Hoch)sensibilität neigten, die schon in früher Kindheit Interessen für verschiedene Themen ausbildeten und gesellschaftlich eine Vielzahl an Rollenanforderungen besäßen, wählten eher Parteien, die emotionalere Themen wie den Klimawandel adressierten, wie beispielsweise die Grünen. Männer hingegen, wählten oft eher konservative, oder rationaler orientierte Parteien, die ihren Fokus auf wirtschaftliche Themen und Digitalisierung legten, da sie eher einseitig orientierte Interessensschwerpunkte und Rollenbilder übernahmen.
Jugendliche, so Hurrelmann, sind am Ende ihrer Ressourcen was die Bewältigungsmöglichkeit erneuter Herausforderungen angeht und damit am Ende ihrer Geduld. Allein die Tatsache des pandemischen Zustandes der letzten zwei Jahre und die sich zuspitzende Klimakrise führten bereits zu einer Schwächung unserer Resilienz und zu einer ausgeprägteren Angsthaltung unserer Generation. Der Krieg verstärkt diese Situation ungemein – Krieg ist immer beängstigend, aber durch geschwächte Widerstandskapazitäten wird ihm noch mehr Angst entgegengebracht, als das sowieso schon der Fall gewesen wäre.
Was wir also in der Politik sehen möchten ist Progressivität und Innovation. Wir brauchen jetzt nichts mehr als eine Politik, die uns auffängt und Anreize verschafft uns an ihr zu beteiligen. Politik, die nah am Volk ist kann nicht zur „Expertensache“ erklärt werden, sondern sie muss uns allen zugänglich sein. Macht nicht nur Politik für das Land, sondern auch für die Leute. Wir – Generation Z sind die Zukunft dieses Landes, also verwehrt uns diese nicht, indem ihr uns ihre Gestaltung vorenthaltet.
Denn: „Die Jugend hat Heimweh nach der Zukunft“ (Jean Paul Sartre)
Quellen:
Studie „Jugend in Deutschland“: https://simon-schnetzer.com/jugend-in-deutschland-trendstudie[1]winter-2021-22